Der Herr der Unruhe
Frau laufen.«
»Den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun. Aber Sie beide wollten doch sowieso zusammenbleiben, bis der Krieg zu Ende ist. Den Wunsch werde ich Ihnen gerne e r füllen.«
Nico erschauderte. Seine Augen suchten die Dunkelheit hinter den Scheinwerfern ab. Es waren zu viele Gewehre, um sie zum Schweigen zu bewegen. Wenn er die Waffen wenigstens sehen könnte! »Bitte, Herr Feldwebel«, bettelte er jetzt auf Deutsch. »Das Mädchen hier bei mir ist Laura Manzini. Sie dürfen ihr nichts tun. Don Massimiliano ist doch Ihr Verbündeter. Er würde …«
»Don Massimiliano«, unterbrach ihn die kalte Stimme des Feldwebels, »ist ein Dreck! Er hat uns in letzter Zeit immer wieder hereingelegt und heute Abend fast einen Oberst u m gebracht. Wir vermuten schon länger, dass er mit den Part i sanen unter einer Decke steckt.« Hurz grinste. »Sie selbst bieten uns ja gerade den Beweis dafür.«
Die Vorstellung, Laura mit seinem Ränkespiel in diese S i tuation gebracht zu haben, ließ Nicos Knie weich werden. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. »Sie … Sie dürfen ihr nichts tun, Herr Feldwebel. Signora Manzini wusste nichts von den Machenschaften ihres Vaters. Bitte lassen Sie sie gehen!«
Hurz trat noch drei Schritte näher heran. Ihm war anzus e hen, wie er sich an Nicos Verzweiflung weidete. Sehr leise erwiderte er. »Sorgen Sie sich nicht, Signor dei Rossi. In ein paar Stunden werde ich Sie gehen lassen. Sie alle beide. Ich schicke Sie auf eine Reise, von der Sie niemals wiede r kehren.«
Das kleine Licht unter der Plane des Lastwagens war ein Zugeständnis, das vor allem den Bewachern nützte. Sie wollten ihren Schutzbefohlenen die Lust an Heimlichkeiten nehmen. Der Feldwebel hatte den Gefangenen das Reden verboten, bevor sie auf die Ladefläche gestoßen worden waren. Nico überlegte, ob er die auf ihn und Laura gericht e ten Maschinenpistolen ins Gebet nehmen sollte. Es waren nur vier Waffen, gehalten von jungen Soldaten, die auf der Bank gegenübersaßen. Ihre Feuerbereitschaft zu lähmen wäre wohl nicht das Problem gewesen, aber was dann? Ihr Transporter befand sich in der Mitte der Kolonne, die jetzt schon recht lange die Küste hinaufschaukelte. Selbst wenn sie den vier Wachen entkamen, würden sie draußen eine ganze Hundertschaft von Gegnern im Nacken haben. Allein hätte Nico vielleicht dieses Risiko gewagt, aber mit Laura? Er musste auf eine günstigere Gelegenheit warten.
Nico spürte an seinem Oberschenkel die Wärme von La u ras Bein. Sie presste es regelrecht gegen das seine. Wollte sie ihm mit dem Gefühl ihrer Nähe Mut machen? Oder sehnte sie sich nach Geborgenheit so wie vorhin, als sie ihren bebenden Körper an ihn geschmiegt hatte? Die Eri n nerung daran nährte Nicos Verzweiflung. Sein Vater, Fel i ciano Carlotti und dessen Vater, Salomia Ticiani, Johan und Lea – wie viele mussten seinetwegen leiden oder sogar sterben! Fürwahr durfte er sich den Herrn der Unruhe ne n nen, hatte er doch schon ein Übermaß an Unrast und schmerzliche Erregtheit über unschuldige Menschen g e bracht. Und nun auch noch Laura …!
Ein Schlag erschütterte den Lastwagen. Er musste durch ein Loch gefahren sein. Auf der Ladefläche kämpfte jeder um Halt. Laura kippte über Nicos Oberschenkel weg, aber er konnte sie nicht halten, weil ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Zudem trugen sie Ketten an den Füßen. Plötzlich raunte sie ihm etwas zu.
»Sie bringen uns nach Anzio. Wieso?«
»Vielleicht haben Sie ja doch noch ein wenig Respekt vor deinem Vater. Sie wollen …«
»Klappe! Beide! Sonst knallt’s!«, brüllte einer der Sold a ten.
Laura blickte in die Mündung seiner Maschinenpistole, während sie sich wieder aufrichtete.
»Ruhig Blut!«, ermahnte Nico den Mann und redete der Waffe unhörbar eine Verstopfung ein.
Der Soldat setzte sich wieder.
Endlich erreichten sie den Hafen von Anzio. Das Ausste i gen gestaltete sich für die zwei Gefangenen aufgrund der Fußfesseln schwierig. Laura stürzte und wurde von einem der Wachleute grob auf die Beine gezerrt. Die Soldaten trieben sie auf eine gemauerte Lagerhalle zu. Davor stand eine Reihe weiterer Posten. Auch an den Seiten des Bac k steingebäudes entdeckte Nico Bewaffnete. Wozu dieser Aufwand, fragte er sich. Hielt man einen jungen Mann und eine Frau, die fast noch ein Mädchen war, für so gefäh r lich?
Feldwebel Hurz bellte einen Befehl, das weite Tor wurde geöffnet, die Gefangenen ins Dunkel dahinter
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