Der Herr der Unruhe
Geschichte.«
Zögernd näherte sie sich ihm. »Ich muss dich um Verze i hung bitten, Nico.«
»Du …?«
»Ich habe die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Du hattest Recht, mein Vater ist ein … skrupelloser Verbrecher und …«
»Pscht!« Nico griff rasch nach ihren Händen. Sie waren kalt und zitterten.
Laura begann zu schluchzen und riss sich von ihm los, aber nicht um vor ihm zurückzuweichen, sondern um sich an ihn zu drücken. »Halt mich fest, Nico.«
Ungeschickt legte er seine Arme um sie. War das noch dieselbe Person, die ihn aus dem Haus gejagt hatte? Er glaubte ihren hämmernden Herzschlag zu spüren. »Was ist passiert?«
»Mein Vater hat ganze Familien an die Deutschen verr a ten, um ihr Vermögen einzustreichen, und seine Lebensuhr …« Sie schluchzte.
»Was ist mit ihr?«
»Er hat sie nie bezahlt.«
»Woher weißt du das?«
»Uberto hat es mir erzählt.«
»Ah! Wie kommt er dazu, seinen Herrn zu verraten?«
»Ich habe ihn zur Rede gestellt. Damals, als du … als ich dich … Nachdem du fortgegangen warst, da wurde mir erst bewusst, wie sehr ich dich liebe, Nico. Ich hatte nur nicht wahrhaben wollen, was du mit dem Telefon angestellt hast, und noch weniger, was ich dabei gehört habe. Gequält habe ich mich – ich weiß nicht mehr wie lange. Aber dann übe r raschte ich eines Abends Uberto in der Küche und hörte, wie er sich bei Viola über die Leute beschwerte, die rati o nierte Lebensmittel für ein Vielfaches des festgesetzten Preises auf dem Schwarzmarkt verhökern. ›Und der größte Kriegsgewinnler ist Don Massimiliano‹, schimpfte er. Da habe ich ihn zur Seite genommen und ihm ein paar sehr direkte Fragen gestellt.«
»Seine Antworten waren für dich bestimmt sehr schmer z lich«, riet Nico.
Sie nickte und schmiegte sich wieder an ihn. »Es ist so schön, dich zu spüren! Bei dir fühle ich mich geborgen, Nico. Können wir nicht hier so stehen bleiben, bis dieser unsinnige Krieg vorüber ist?«
Lauras Schutzbedürftigkeit weckte in ihm Gefühle, für die er sich schämte. Er wollte sie die Erregung nicht spüren lassen, die ihn wie flüssige Lava durchströmte. Obwohl die Reaktionen seines Körpers sich seiner Kontrolle entzogen, fühlte er sich wie ein egoistischer Verräter. Unbeholfen tätschelte er ihren Rücken und antwortete, bemüht um einen aufmunternden Ton: »Vielleicht dauert das ja noch zwei, drei Tage, Hier stehen wir wie auf dem Präsentierteller, und ungemütlich ist es auch.«
Sie lehnte den Kopf zurück und suchte in der Dunkelheit seine Augen. »Findest du?«
Er räusperte sich. »Lass uns lieber in die Festung gehen.«
Laura leckte an ihrem Finger und zog damit eine helle Schneise über seine Wange. »Vielleicht hast du Recht. Komm! Zeig mir dein Zuhause.«
Sie ergriff seine Hand und zog ihn über den Steg, Nico nötigte das Schloss ein weiteres Mal zum Nachgeben, und sie betraten die Festungsanlage. Er hauste im obersten Stock des viereckigen Hauptturmes, weil die Umgebung von dort am besten zu überwachen war. Außerdem konnte er die winzigen Fenster des Gemachs leicht verdunkeln.
Staunend ließ sich Laura von ihm durch die Anlage fü h ren. Auf den letzten Stufen des Turmes fragte sie endlich: »Eins musst du mir erklären: Gehört der Torre nicht dem Heiligen Stuhl? Wieso kannst du hier ein und aus gehen wie …« Sie zuckte die Achseln.
»… der Heilige Vater höchstpersönlich?« Nico lachte. Er öffnete die Tür zur Turmkammer und winkte Laura hinein. »Na ja, der Papst hat einen sehr netten Liegenschaftsbea m ten. Der gab mir die Erlaubnis, für eine gewisse Zeit hier unterzuschlüpfen … Moment mal! Woher hast du übe r haupt gewusst, wo du mich finden kannst?«
Laura schlug die Augen nieder. »Ein Freund hat es mir verraten.«
Nico runzelte die Stirn. Plötzlich schrillten in seinem Kopf die Alarmglocken. »Doch nicht Bruno!«
Sie nickte. »Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Ich …«
»Darum geht es gar nicht, Laura«, unterbrach er sie au f geregt. »Bruno wird von deinem Vater, der Banda Koch, der SS und der Wehrmacht gejagt. Wie kommst du dazu, mit ihm zu sprechen?«
»Er hat mich besucht.«
»Wann?«
Sie zögerte.
»Wann, Laura?«
»Oft. Ich habe dir doch erzählt, wie er mir früher immer nachgestellt hat.«
»Als sein Vater das Mosaik in eurem Haus gemacht hat.«
»Ja. Aber auch danach. Wenn ich in den Ferien nach Ha u se kam, kreuzte nicht selten Bruno auf. Wahrscheinlich war er verknallt in mich, aber ich
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