Der Herr der Unruhe
Exekutanten.
Der Feldwebel gab den Befehl zum Anlegen.
Nicos Augen schritten die Gewehrmündungen ab. Sein Summen wurde lauter. Einige Soldaten zitterten so stark, dass sie unmöglich präzise zielen konnten. Auch Hurz fiel die Anspannung seiner Leute auf.
»Reißen Sie sich zusammen, Mann!«, schnauzte er einen Schützen an, dem gerade das Gewehr aus dem Anschlag gerutscht war.
Nico wechselte einen Blick mit Bruno, der links neben ihm stand.
»Gott sei mit dir, amico mio !«, flüsterte der Partisan.
Wortlos wandte sich Nico wieder dem Erschießung s kommando zu. Er heftete den Blick auf einen Soldaten, der ihm mehr als alle anderen überreizt vorkam. Unbewusst presste er Lauras Hand zusammen. Nico holte tief Luft und riss die Augen auf.
Der Soldat verlor die Nerven und drückte ab, bevor Hurz das Feuerkommando hatte geben können. Eine Stichflamme schoss aus dem Gewehr, aber nicht aus der Mündung. Die Walle war nach hinten losgegangen. Der Mann brüllte vor Schmerzen auf. Sein Gesicht war vor lauter Blut nicht mehr zu erkennen. Er taumelte, strauchelte und fiel zu Boden, wo er sich, aus Leibeskräften schreiend, hin und her wälzte.
»Schaffen Sie ihn hier weg«, blaffte Hurz zwei Männer an, wohl wissend, wie der Anblick des Verletzten auf die Moral der übrigen Männer wirken musste.
Der Delinquent Nuzio krümmte sich an der Felsmauer z u sammen und wimmerte vor sich hin. Andere Partisanen konnten den Anblick der Exekutanten nicht länger ertragen und drehten sich um. Aber auch unter den Soldaten war die Unruhe jetzt fast greifbar. Nico sah in ihren Augen die Furcht lodern. Er schöpfte Hoffnung.
»Anlegen!«, befahl der Feldwebel.
Wieder gingen die Gewehre in Anschlag, die Mündungen wankten wie Ähren im Wind. Aus der Ferne wehte der Wind ein brummendes Geräusch herüber.
»Feuer!«
Niemand drückte ab.
Oberst Kaltenreutter trat aus dem Hintergrund einen Schritt vor und brüllte: »Wollen Sie alle als Nächste an der Wand stehen? Feuern Sie!«
Einundzwanzig Männer zauderten.
Kaltenreutter zog seine Pistole aus dem Gürtelholster und stapfte mit großen, wütenden Schritten auf die Reihe der Delinquenten zu. Er hielt den Lauf an Lauras Stirn, schrie »So macht man das!« und drückte ab.
Die Feuerwaffe verweigerte kühl den Befehl.
»Was zum Kuckuck …!«
Er betätigte abermals den Abzug, aber die Pistole streikte. Wütend stapfte er zu Hurz zurück. Das Erschießungsko m mando hatte derweil einmütig mit der Überprüfung seiner Gewehre begonnen. »Geben Sie mir Ihre Dienstwaffe«, verlangte Kaltenreutter.
Plötzlich schwoll über ihren Köpfen ein ohrenbetäube n des Dröhnen an. Alle blickten nach oben. Von Norden raste dicht über dem Boden ein Kampfflugzeug heran. Nico sah einen weißen Stern auf blauem Grund. Es war ein Amer i kaner, eine Spitfire.
Kurz bevor der Jäger das Exekutionskommando erreichte, aktivierte er die beiden Bordkanonen. Irrwitzigerweise blitzte in Nicos Kopf das Bild eines über die Donau hü p fenden Steines auf, als er die zwei Einschussreihen auf e i nen überraschten Haufen von Soldaten zujagen sah. Die Partisanen drückten sich an die Felswand, um dem tödl i chen Hagel zu entgehen. Einige Exekutanten ließen sich noch auf den Boden fallen, bevor die Salve durch sie hi n durchfegte.
Nico drückte Lauras Gesicht an seine Brust und schützte sie mit seinen Armen, so gut es ging. Fassungslos starrte er auf die blutige Saat eines einzigen Luftangriffs. Die großk a librigen Kanonen des Jägers hatten einige Männer buc h stäblich entzweigerissen. Für Sekunden machte ihn der Schock taub. Die Schreie der Verwundeten, die fliehenden Überlebenden, alles schien ihm seltsam fern. Wie in einer Wochenschau mit zu leise eingestelltem Ton.
»Kommt!«, hörte er plötzlich neben sich Bruno schreien.
Es war, als erwachte Nico aus einem furchtbaren Al b traum, nur um sofort in den nächsten zu gleiten. Mit einem Mal war wieder alles da: die Schreie der Verletzten, die wie Peitschenhiebe knallende Dienstwaffe von Feldwebel Hurz, der tatsächlich zu glauben schien, mit seiner Pistole ein Kampfflugzeug abschießen zu können, und der Propelle r lärm der Spitfire. Der Jäger kippte über das Steuerbordlei t werk ab. Offenbar wollte der Pilot noch einen zweiten A n griff fliegen.
»Jetzt kommt endlich!«, brüllte Bruno erneut und zerrte Nico am Ärmel.
Endlich fiel die Starre von ihm ab. »Schnell!«, sagte er zu Laura, und sie begannen zu laufen.
Es war alles andere
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