Der Herr der Unruhe
wunderbare Weise die Antike mit dem Morge n grauen des Tausendjährigen Reiches. Laura hatte ihm für diese Bemerkung ins Gesicht gespuckt.
»Prägen Sie sich den 21. Januar 1944 gut ein, Fräulein«, knurrte sie derselbe Oberst an, der schon am vorangega n genen Abend so wenig das unterirdische Feuerwerk im Haus ihres Vaters genossen hatte. »Der heutige Freitag wird nach Ihrer Geburt das wichtigste Datum in Ihrem Leben sein – man stirbt schließlich nur einmal.«
Ganz der beherrschte Truppenführer, wischte er sich den Speichel von der Wange und übertrug Feldwebel Hurz die weiteren Vorbereitungen der standrechtlichen Erschießung.
Die Gefangenen brachen gegen sechs Uhr dreißig am L a gerhaus auf. Die Sonne würde erst in etwas mehr als einer Stunde aufgehen. Die Männer der Militäreskorte wirkten ungewöhnlich nervös. Nico fiel auf, wie ein Soldat auf ihn deutete und einem anderen etwas zuflüsterte. Hatte sich die Legende vom Walzenbändiger, dem Doctor Mechanicae und Liebling der leblosen Dinge – zu denen bekanntlich auch Gewehre gehörten – etwa schon bis zu den Besatzern herumgesprochen? Fürchteten sie unliebsame Überr a schungen?
In der evakuierten Stadt gab es niemanden, der den letzten Marsch der Delinquenten begleitete, der ihnen Mut z u sprach oder wenigstens für sie eine Träne vergoss. Manche Partisanen konnten vor Angst kaum laufen. Einem jungen Mann namens Nuzio lief es feucht die Beine hinab. Er wu r de von einem Kameraden gestützt, weil jeder Zurückble i bende mit seiner sofortigen Erschießung rechnen musste.
Nico und Laura hielten sich gegenseitig fest. Während er im Stillen mit sich haderte, schien sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben.
»Ich bin froh, dass ich in dieser Stunde bei dir sein kann, Nico.«
Sein Atem flatterte, als er tief Luft holte und seine ganze Verzweiflung vor ihr ausschüttete. »Aber du hast etwas Besseres verdient, Laura, als an meiner Seite erschossen zu werden. Du und ich, das konnte nicht funktionieren. Ich hätte mich in die Wahrheit fügen sollen, anstatt auf ein Wunder zu hoffen.«
»Du meinst, wie Wasser, das den Berg hinauffließt?«
Er presste die Lippen zusammen.
»Das hat ein Verräter gesagt, Nico. Glaubst du Bruno immer noch?«
»Er war einmal mein bester Freund.«
»Und was bin ich?«
Seine Hand zog sie noch dichter an ihn heran. »Du bist die große Liebe meines Lebens.«
Ihr Kopf neigte sich gegen seine Schulter. »Ich will nicht sagen, dass ich gerne sterbe, Liebster, aber mit diesem G e danken im Sinn wird es mir leichter fallen.«
Als sie schließlich den Felsvorsprung erreichten, auf dem einst die Villa des Cäsaren gestanden hatte, dämmerte es bereits. Im Zwielicht des frühen Morgens erschienen die Eingänge zu den Grotten wie ein vieläugiges, lauerndes Ungeheuer. Etwas oberhalb der Ruinen gab es zwischen den Felsen ein kleines sandiges Strandstück. Dieses hatte sich der Oberst für sein Blutbad ausgesucht.
Die Gefangenen mussten vor der Felswand Aufstellung nehmen. Entgegen den üblichen Klischees wurden keine Augenbinden verteilt. Feldwebel Hurz überließ es aber dem Einzelnen, ob er aufs Meer hinaus und damit dem Exekut i onskommando ins Auge sehen oder doch lieber den verwi t terten, Frieden verheißenden Stein betrachten wollte.
Der Herr der Unruhe hatte sich vermeintlich für den Se e blick entschieden. In Wahrheit beobachtete er die zune h mend nervöser werdenden Soldaten, wog still seine Cha n cen ab. Es sind zu viele Waffen!, rief eine Stimme in seinem Kopf. Lauras Hand ergriff die seine; das Mädchen trotzte wie er sehenden Auges seinen Henkern. Rette wenigstens sie! , hallte es aus einem anderen Winkel seines Bewuss t sein. Aber wie? Leise begann er zu summen.
Am Rand seines Blickfeldes nahm er das Herumrucken von Lauras Kopf wahr. Sie fragte sich bestimmt, was in ihn gefahren war. Auch einige Soldaten hatten das befremde n de Verhalten des Sonderlings bemerkt. Sie stießen ihre Kameraden an. Unruhe machte sich breit. Auf dem Marsch zur Hinrichtungsstätte hatte Nico sie tuscheln gehört. G e rüchte gingen um, dass der einstige Hüter von Manzinis Lebensuhr einen ganzen Konvoi der Waffen-SS lahm g e legt und mit Handgranaten sein Spiel getrieben hatte. Was mochte er da mit zwei Dutzend Infanteristen anfangen?
Die Schützen folgten murrend dem Kommando, sich in einer Reihe aufzustellen.
»Machen Sie schnell, Hurz«, drängte Oberst Kaltenreu t ter. Er stand versetzt hinter den
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