Der Herr der Unruhe
Oberst und Manzini Deckung gesucht hatten. Die beiden anderen Soldaten führten Nico die Straße hinab zu einem bereitstehenden Mannschaftstransporter.
Laura bäumte sich gegen ihre Bewacher auf und schrie immer wieder Nicos Namen. Er drehte sich nicht um. W e nigstens sie war gerettet. Was mit ihm geschah, war ihm in diesem Moment völlig egal.
Grob wurde Nico durch einen von Staub und Trümmern bedeckten Gang gestoßen. Vor einer Tür hielt man ihn fest. Ein Soldat sperrte das Schloss auf, der andere stieß ihn in den großen Raum. Stolpernd kam er zum Stehen und drehte sich zu Feldwebel Hurz um.
»Was haben Sie mit mir vor?«
Der Offizier trug einen Verband um den Arm. »Sie me i nen, weil der Oberst nicht ein zweites Mal versucht hat, Sie zu erschießen? Die Sonderbehandlung haben Sie Ihrem Freund zu verdanken?«
»Und wer soll das sein?«
»Der Gouverneur.«
»Manzini? Er ist nicht mein Freund. Außerdem wollten Sie doch gerade noch seine Tochter umbringen.«
»Don Massimiliano, wie Sie ihn nennen, ist ein Stehau f männchen. Er hatte noch ein Trumpf in der Hand, einen Buben in schwarzer Uniform.«
»Dann soll dieser … ›Bube‹ mich ausquetschen?« In N i cos Erwiderung schwang zum ersten Mal offene Furcht anstatt Trotz.
Das schien Hurz zu gefallen. Er grinste süffisant. »Ich mag die SS nicht besonders, aber ihre Verhörtechniken sind legendär. Warten Sie nur ab.« Er schlug die Tür ins Schloss. Es wurde zugesperrt. Dumpf hörte man die A n weisung an die Wachen, jeden Fluchtversuch mit sofortiger Erschießung zu ahnden. Jemand entfernte sich.
Nico starrte benommen die rissige, vergilbte Tür an.
Eine Äußerung von Vittorio Abbado über das römische Gefängnis Regina Coeli kam ihm in den Sinn. Der ehem a lige Assis tente del Procuratore – die rechte Hand des Staatsanwaltes – hatte davon erzählt, dass die Besatzer bi s weilen den Drang verspürten, jemanden zu quälen. Offe n bar beabsichtigte die SS im Garnisonsgebäude von Nettuno eine Außenstelle ihrer Folterkammer einzurichten.
Das war – einmal mehr – die größte Ironie. Nico steckte in einem Gebäude fest, das an derselben Piazza stand wie Manzinis Palast. Vielleicht weinte Laura um ihren Liebsten nur wenige Meter von hier, nicht ahnend, wie nah er ihr war.
Nico sah sich in seinem Gefängnis um. Offensichtlich handelte es sich um einen ehemaligen Klassenraum der italienischen Artillerieschule, die bis zum 9. September letzten Jahres im Garnisonsgebäude untergebracht war. Es standen noch die Tische und Stühle der Kadetten herum. An der Stirnwand hing eine schwarze Tafel. Der Raum lag in jenem Obergeschoss des Militärbaus, der vor vier Mon a ten von drei Treffern aus einem panzerbrechenden G e schütz der Wehrmacht durchlöchert worden war. Ansche i nend verspürten die inzwischen hier eingezogenen Besatzer keine Lust, in dem zerstörten Gebäudeteil aufzuräumen, um sich darin auszubreiten. Für einen Gefangenen hingegen waren die möglicherweise vom Einsturz bedrohten Mauern wohl gerade gut …
Mitten in diesem Gedanken ruckte Nico herum. Er ve r suchte sich seine momentane Position vorzustellen. Wo waren die Granaten eingeschlagen? Er hatte draußen doch die Zerstörungen gesehen. Seine Augen wandten sich der Wand gegenüber der Schiefertafel zu. Ja, dahinter musste alles in Schutt und Trümmern liegen. Er ging zum vergitte r ten Fenster und schätzte die Entfernung bis zur Straße. Ihm wurde mulmig. Die Stockwerke waren hoch!
Leise schlich er zur Tür und lauschte. Die beiden Wachen dahinter sprachen miteinander. Seine Hand legte sich auf das Schloss. Tu mir einen Gefallen und lass dich wenig s tens heute nicht mehr von diesem kantigen Schlüssel he r umkommandieren! Nico fühlte, wie sich in dem schlichten Mechanismus etwas verhakte.
Nun durchquerte er den Raum, um die besagte Mauer e i ner genaueren Begutachtung zu unterziehen. Mit ausg e streckten Armen ließ er die Handflächen über die weiß ve r putzte Wand streichen. Ein Haus war zwar keine Maschine, aber gehörte es nicht ebenso zu den leblosen Dingen? Nico redete sich Mut ein. Er musste es versuchen. Auch Türen waren ihm hold gewesen, nur weil in ihnen ein kleines Schloss wohnte …
Nicos Rechte verharrte über einem Riss im Verputz. Er schloss die Augen. Richtig! Da lag ein Eisenanker im Ma u erwerk. Die Erinnerung an die Granateinschläge war noch deutlich zu spüren. Nico legte beide Handflächen an die Wand.
»›Seine Füße waren teils aus Eisen
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