Der Herr der Unruhe
besonders zu gefallen.«
»Woher wissen Sie, dass es ein Junge ist?«
»Haben Sie schon mal ein Mädchen erlebt, das so boxen kann?«
»Vielleicht wird er ja ein großer Faustkämpfer.«
»O nein, bitte nicht! Mir wäre so jemand wie Sie lieber, Don Niklas, ein Uhrmacher. Meinetwegen auch ein Mus e umsdirektor, aber niemals ein Boxer.«
»Wir sollten jetzt hinausgehen, Signora Casaldi. Kommen Sie. Ich helfe Ihnen.« Er stützte sie, während sie sich au f richtete.
»Ich hätte doch mit den anderen in den Campana fliehen sollen«, sagte sie, während beide dem Ausgang entgege n strebten. »Aber ich wollte nicht, dass mein Kind in einer Schachtel aus Sperrholz zur Welt kommt.«
»Das Lager im Pinienwald ist aber bestimmt sicherer als die Stadt.«
»Sie haben Recht, Don Niklas. Warum eigentlich nicht in den Wald? Ich glaube, ich werde den Jungen Silvano ne n nen.«
»Den ›Waldmann‹?«
»Das klingt friedlich, finden Sie nicht?«
Nico führte, sie die Freitreppe zur Via San Giovanni hi n ab. »Ja, Signora Casaldi. Tun Sie das. Frieden ist gut. Nichts brauchen wir dringender.«
Der Schornstein des Palazzo Manzini qualmte. Erst jetzt bemerkte Nico den Rauch. Kein Wunder bei dem dramat i schen Geschehen vor der Kirche. Hinter ihm brannte immer noch der Panzer. Mit verhaltenen Schritten näherte er sich dem Palast. Die Gasse davor war wie ausgestorben. Die Posten der Wehrmacht hatten sich vermutlich schon vor Stunden aus dem Staub gemacht. Das graue Gebäude kam Nico, trotz des eindeutigen Lebenszeichens aus dem Schlot, auf eine schwer fassbare Weise tot vor. Vielleicht waren längst alle Bewohner geflohen. Die Beobachtungen von Signora Casaldi legten diese Vermutung nahe. Doch bevor er sich in der Stadt auf die Suche nach Laura machte, mus s te er sich im Palazzo umsehen. Dafür gab es noch einen anderen Grund.
Der Hintereingang in der Via del Limbo war unverschlo s sen. Vorsichtig drückte er die nur angelehnte Tür nach i n nen. Der Gang, der zur Küche und den anderen Wirtschaft s räumen führte, war leer. Leise betrat er den Palast.
Ungehindert erreichte er den Wandelgang, der den Lich t hof umspannte. Auch hier herrschte Stille. Selbst die ve r einzelten Maschinengewehrsalven aus der Ferne waren innerhalb der Mauern nur als gedämpftes Prasseln wahrz u nehmen. Nacheinander kontrollierte er die Räume im Er d geschoss. Keine Menschenseele. Also doch ein totes Haus?
Er stieg die Treppe zum ersten Stock empor. Gerade als er nach links in die Galerie einbiegen wollte, trat ihm plötzlich Donna Genovefa entgegen. Sie trug ein langes Kleid aus gelblich weißer Spitze, das schmal an ihrem schlanken Leib herabfiel. Ihr Gesicht war blass und seltsam ausdruckslos. Selbst jetzt entdeckte Nico nur ein winziges Funkeln in den dunklen Augen der kühlen Schönheit. Keine Überraschung. Keine Furcht. Kein Wort.
Die Sekunden zogen sich zäh dahin, während sich die beiden mit Blicken maßen, er stand noch auf der letzten Stufe, sie überragte ihn um einen halben Kopf. Irgendwann bemerkte Nico, dass er vergessen hatte zu atmen, und ließ die Luft lange durch die Nase ausströmen. Vorsichtig, als sei Manzinis Frau eine Schlafwandlerin, die nicht geweckt werden durfte, lief er um sie herum. Sein Ziel war das A r beitszimmer des Gouverneurs. Die Lebensuhr.
Langsam schritt er die Galerie entlang. Als er sich nach einigen Metern umdrehte, erschauerte er. Donna Genovefa stand nach wie vor am Treppenabsatz und schaute ihm nach. Er lief weiter. Ein heftiger Donner ließ ihn zusa m menfahren. Der Panzer! Er muss explodiert sein. Ich habe Albino liegen lassen …!
Zum Umkehren war es zu spät. Er hatte das Büro erreicht. Die Tür stand offen. Wenigstens entkam er nun endlich dem geheimnisvollen Blick der schweigsamen Frau.
Nachdem er den tiefen Türsturz unterquert hatte, erlebte er die nächste Überraschung. Massimiliano Manzini wuse l te durch den Raum. Es sah aus, als habe hier eine Razzia stattgefunden: umgestoßene Stühle, leer gefegte Regale, am Boden verstreute Gegenstände. Und auf dem Schreibtisch eine auf Hochglanz polierte Schatulle aus Ahorn. Nico spürte, wie sein Puls auf Touren kam.
Manzini lief gerade vom Tresor zum Kamin und warf e i nen Stapel Dokumente ins prasselnde Feuer. Daher also der Qualm! Als er zum Stahlschrank zurückkehren wollte, b e merkte er den Beobachter bei der Tür und erstarrte. Drei, vier Herzschläge lang sahen die beiden Männer nur eina n der an. Dann stahl sich ein
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