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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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diabolisches Lächeln auf Ma n zinis Lippen.
    »Siehe da, des Uhrmachers Sohn!«
    Nico schritt langsam auf den Schreibtisch zu, immer da r um bemüht, das Behältnis der Lebensuhr nicht anzustarren. »Wo ist Laura?«
    Ein fast lautloses Kichern. »Sie hat mich verlassen. Ist heute Nacht einfach fortgegangen.«
    »Wohin?«
    »Das weiß ich nicht. Und wenn, dann würde ich es dir nicht sagen, Walzenbändiger.«
    Obwohl dieses Geständnis Nico mehr als nur beunruhigte, blieb er äußerlich gefasst. »Sie sind wohl gerade dabei, Ihre Sündenregister zu verbrennen? Lassen Sie ‘s sein. Das Blut meines Vaters und anderer Unschuldiger klebt an Ihren Händen. Weder Wasser noch Feuer können Sie läutern, Don Massimiliano.«
    »Bist du etwa gekommen, um mir den Todesstoß zu ve r setzen?«
    Nico blieb stehen. Nur der Arbeitstisch trennte die beiden Feinde voneinander. »Ich hätte Sie in den Sümpfen töten können. Ein höherer Richter, als ich es bin, wird über Sie urteilen.«
    »Wenn ich hier fertig bin, wird es keine Beweise geben, auf die er sich stützen könnte.«
    »Sind Sie sicher?«
    Der mehrfache Mörder stieß ein heiseres Lachen aus. »Hat dir noch niemand gesagt, dass der große Massimiliano ein Illusionist ist? Ich habe die Faschisten verführt, die N a tionalsozialisten, und ich werde auch die Alliierten von meiner Unschuld überzeugen.«
    Nicos zur Schau gestellte Gelassenheit geriet ins Wanken. Dieser Gauner wollte immer noch nicht aufgeben. Und wer konnte schon wissen, ob er nicht tatsächlich seinen Kopf ein weiteres Mal aus der Schlinge zu ziehen vermochte. Nico spürte, wie der schon besiegt geglaubte Rachedurst in ihm aufstieg. Das durfte er nicht zulassen. Dieser größe n wahnsinnige Egomane musste endlich in seine Schranken verwiesen werden.
    »Vassene il tempo e l’uom non se n’avvede« , deklamierte der Sohn des Uhrmachers, als wäre er ein klassischer Bü h nenschauspieler – Die Zeit geht hin, und der Mensch g e wahrt es nicht.
    Das letzte Wort des Dante-Zitats war noch nicht ganz ausgesprochen, als Manzini sich zu verwandeln begann. Sein eben noch unbekümmert lächelndes Gesicht erstarrte. Die lockere Körperhaltung wich einer augenscheinlichen Anspannung. »Was …?« Er glotzte Nico fassungslos an.
    »Mein Vater war nicht Ihr erstes Opfer«, erklärte dieser mit neu erwachendem Mut. »Acht Jahre vorher, am 10. Juni 1924, haben Sie Giacomo Matteotti ermordet, den Genera l sekretär der Sozialistischen Partei.«
    Manzinis Gesicht wurde puterrot, und er schrie: »Das ist eine infame Lüge!«
    »Vassene il tempo e l’uom non se n’avvede« , wiederholte Nico, und diesmal legte er besondere Betonung auf die Mi t te des Zitats. »Ich muss zugeben, es hat lange gedauert, bis mir der verborgene Sinn von Dantes Worten aufgegangen ist. Eines Morgens, als ich aus einem fiebrigen Traum e r wachte, fragte ich mich, warum der Mensch das Hingehen der Zeit nicht gewahrt. Aber dann fiel mir ein, dass Sie e i nen Chauffeur haben, der Uberto Dell’Uomo heißt – da s selbe Wort, sieht man von der kleinen grammatikalischen Verformung ab. Als Sie das Zitat aus Dantes Purgatorio in der Uhr meines Vater gesehen haben, ist es Ihnen schlaga r tig bewusst geworden: Uberto ist dieser Mensch, der nicht beachtet, dass die Zeit vergeht, weil er nicht vergessen kann, was er gesehen hat und was sein Gewissen belastet: den Mord an Giacomo Matteotti.«
    Schweißtropfen standen auf Manzinis Stirn. Sein Kopf zitterte hin und her. »Hirngespinste! Das alles ist deiner Phantasie entsprungen. Kein Richter würde dir diese G e schichte glauben.«
    »Auch nicht, wenn der Ermittler die Verbindungen zu ›Purgatorio‹ entdeckt, dem Geheimkommando, das Sie im Auftrag von Benito Mussolini befehligt haben? Uberto Dell’Uomo gehörte dieser verdeckt arbeitenden Einheit nicht nur an, er war so etwas wie Ihr Adjutant, Don Mass i miliano. Kurz vor dem Mord an Matteotti hatte er den soz i alistischen Oppositionsführer zusammengeschlagen und landete dafür im Gefängnis. Das ist aktenkundig. Ebenso die Tatsache, dass er von Ihnen zweimal herausgeboxt wu r de: nach dem K. o. des Abgeordneten und wenig später noch einmal, als Uberto aus begreiflichen Gründen als Hauptverdächtiger in dem Mordfall festgenommen worden war. Er hat einmal zu mir gesagt: ›Der Podestà und ich sind durch eine unsichtbare Kette verbunden.‹ Ich hielt das d a mals für so eine Art Treuebekenntnis, aber dann wurde mir klar, dass Ihr Adjutant Sie

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