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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Sonntags um sechs liege ich gewöhnlich noch in den Federn.«
    »Was? Du musst nicht pünktlich um acht bei deinem P o destà die Uhr aufziehen?«
    »Spotte nur! Heute erwartet er mich erst um neun. Wo bist du die letzte Woche gewesen, Bruno?«
    »Bei Freunden.«
    »Du meinst denen von der Giustizia e Libertà? Es tut mir Leid, was mit deinen Kameraden passiert ist.«
    Bruno warf die Hände in die Luft, stapfte drei oder vier Schritte den Strand hinab, um aber sogleich wieder umz u kehren. »Es tut ihm Leid! Er sagt, es tut ihm Leid. Du hast ja keine Ahnung, was die OVRA mit ihren Geiseln a n stellt?«
    »Vielleicht mehr, als du dir vorstellen kannst, Bruno«, knurrte Nico. »Wieso hast du mich hierher gelockt?«
    »Um dich für unsere Bewegung anzuheuern.«
    »Fängst du schon wieder damit an!«
    Bruno grinste. »War nur ein Versuch. Wirst sehen, i r gendwann bekehre ich dich. Ich wollte dich einfach mal wieder sehen, amico mio. Deine schiefe Visage hat mir g e fehlt.«
    Nico öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
    Stattdessen zog Bruno aus der Innentasche seiner braunen Jacke einen Zettel, hielt ihn dem Freund entgegen. »Hier, für dich.«
    Argwöhnisch musterte Nico das zweifach gefaltete Blatt. »Was ist das? Eine Beitrittserklärung zur Giustizia e Libe r tà?«
    »Unsinn. Schau’s dir ruhig an. Die Lektüre bringt dich nicht um. Hoffe ich jedenfalls.«
    Nico entfaltete das Blatt. »Eine Namenliste?«
    »Aus der deutschen Botschaft in Rom.«
    »Du hast es wirklich geschafft!« Rasch überflog Nico die Einträge und murmelte schließlich: »Nirgends ein Karl Li e be zu finden.« Sein Zeigefinger schritt ein zweites Mal alle Karls ab, von denen es nicht weniger als fünf gab, und blieb jäh stehen. »Hass!«
    Bruno nickte und übersetzte das Wort in seine Mutte r sprache. » Odio. Unser Kontaktmann spricht fließend Deutsch. Als ich ihm die kleine Denksportaufgabe gestellt habe, ist er zu demselben Schluss gekommen: Karl Hass muss Amore sein.«
    »Fragt sich nur, was Manzini von ihm gewollt hat. Dein Spitzel hat dir nicht zufällig verraten, womit sich dieser Hass so beschäftigt?«
    Bruno grinste. »Doch, hat er. SS-Sturmbannführer Karl Hass ist Herbert Kappler unterstellt – du findest ihn auch da irgendwo aufgelistet.«
    »Kappler? Sollte mir der Name irgendwas sagen?«
    »Er ist ein SS-Obersturmbannführer, den Heinrich Him m ler, der ›Reichsführer SS‹, mit einem besonderen Auftrag nach Rom geschickt hat …«
    »Mach’s nicht so spannend, Bruno. Wie lautet der B e fehl?«
    »Sich für die Internierung deutscher Juden einzusetzen, die nach Italien geflüchtet sind.«
    »Hitlers Wunschdenken«, schnaubte Nico. »Mussolini hat zwar offiziell die Einreise ausländischer Juden verboten, aber er duldet stillschweigend, dass sie Italien als Durc h gangsland benutzen.«
    »Dieser Kappler soll sich bei unserem Faschistenpack a ber noch für ein anderes Ziel stark machen.«
    »Nämlich?«
    »Den Bau deutscher KZs in Italien.«
    Ein eisiger Hauch schien vom Meer herüberzuwehen. »KZs?«
    »Konzentrationslager. Sammellager, in denen Juden wie Arbeitssklaven gehalten werden.«
    Nico fröstelte. Warum nahm das kein Ende? Die österre i chische Regierung hatte am 23. September 1934 eine Ve r ordnung zur Einrichtung von so genannten »Anhaltelagern« erlassen. Sie dienten der Internierung politischer Häftlinge. Aber das war erst der Anfang. Am 1. April 1938, noch vor der Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs an Deutschland, wurde ein erster »Prominententransport« z u sammengestellt. Verschiedene Wiener Lokalgrößen wie der Kabarettist Fritz Grünbaum verschwanden in Richtung Deutschland. Sie seien nach Dachau gebracht worden, hatte Nico von einem Kunden erfahren. Was sich in dem Mü n chener Vorort befand, wusste er nicht, aber er vermutete, ebenfalls ein Anhaltelager.
    »Ich sage es ja nur ungern«, meldete sich erneut Bruno zu Wort, »aber was da passiert, überrascht mich nicht. Ich h a be es dir prophezeit. Verstehst du jetzt, warum unsere B e wegung jeden braucht, dem etwas an Freiheit und Gerec h tigkeit liegt?«
    »Bitte!«, stöhnte Nico. Er war nicht dazu aufgelegt, schon wieder mit Bruno über das Thema zu streiten. »Ich habe bisher von keinen Übergriffen auf Juden in Italien gehört.«
    »Meinst du, die faschistische Propaganda würde das an die große Glocke hängen?«
    »Im März letzten Jahres hat Herman Göring bei einer Kundgebung in Wien erklärt, dass die Stadt innerhalb von

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