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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Frage stimmte den Beobachter im Schatten unzufrieden –, warum half der angeblich so patri o tische Podestà von Nettuno nicht seinem geliebten Duce bei der Rüstung, sondern verhandelte mit den Deutschen …?
    »Herr Michel?« Lauras Rufen zerrte Nico aus der Ve r sunkenheit. Schnell trat er unter dem Sturz hervor, um sie mit seiner Heimlichtuerei nicht unnötig zu beunruhigen. Sie kam in diesem Moment die Treppe hinauf und eilte ihm lächelnd entgegen. Nico erstarrte.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Wird Zeit nachzuschauen, ob die Lebensuhr noch tickt«, antwortete er tonlos. Seine Augen sahen nicht ihr wunde r bares Lächeln. Sie blickten über ihre Schulter hinweg ans gegenüberliegende Ende der Galerie. Dort stand unter e i nem Türsturz, so wie bis eben er, Uberto Dell’Uomo. Er regte sich nicht, glich fast einer Wachsfigur. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Seit wann, fragte sich Nico, laue r te der Chauffeur schon dort? Hatte er ihn etwa die ganze Zeit über beobachtet? Welche Schlüsse mochte er daraus ziehen? Und was würde er jetzt tun?

9. KAPITEL
Der Ahasverische
     
    Wien, 1934 – 1938
     
    Die Zufluchtsstätte war ihm zum Gefängnis geworden. N i co hätte der Porzellangasse lieber heute als morgen Leb e wohl gesagt, aber er konnte, nein, er durfte nicht. Lea brauchte ihn.
    Ihr Verdacht war schnell zur Gewissheit geworden: »Das Auge« Martha Hrdlicka hatte den sozialdemokratischen Uhrmacher bei der Polizei angeschwärzt. Nachdem die mürrische Witwe ihre Nachbarin schutzlos wähnte, übe r schüttete sie diese mit ihrem Geifer. Möglicherweise hoffte sie auf diese Weise, »das Judenpack« aus dem Haus zu graulen, aber zwischen dem Auge und Lea stand Nico.
    Wohl eine Stunde lang hatte er mit ihr geweint. Er fühlte sich schuldig. Schon beim Mord an seinem Vater war er untätig geblieben, und nun sein neuerliches Versagen. Er hätte wenigstens irgendetwas unternehmen müssen; stat t dessen hatte er sich in die Werkstatt verkrochen, bis es zu spät war, bis sie Meister Johan unter seinen Augen ve r schleppt hatten. Am diesem Morgen des 16. Februar 1934 schwor sich Nico, nie wieder einen Menschen seinem Za u dern oder gar der eigenen Feigheit zu opfern.
    Endlich erhoben sich die beiden vom Dielenboden auf dem Flur. Der Verstand gewann das Regiment über die Gefühle zurück. Was konnte man tun, um Johans Schicksal zu ergründen? Nico suchte zusammen mit Lea das nächs t gelegene Polizeirevier auf. Dort wollte man nichts von e i ner Razzia in der Porzellangasse wissen. Unschlüssig keh r ten die zwei nach Hause zurück. Lea war am Boden ze r stört.
    Die Ungewissheit zog sich qualvoll hin. Noch im Laufe des Tages wurde bekannt, dass von der Bundesregierung die Annullierung aller sozialdemokratischen Mandate ve r fügt worden war. Darüber hinaus sollten sämtliche Verm ö genswerte der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Org a nisationen beschlagnahmt werden. Dollfuß nutzte den Volksaufstand für einen Rundumschlag. Aber wo war J o han?
    Die zwei sprachen beim Bundesheer vor. Auch dort gab man sich zunächst bedeckt. Zur gleichen Zeit machte die Nachricht von eintausendfünfhundert bis zweitausend T o ten unter den Aufständischen die Runde. Neun Schutzbün d ler seien standrechtlich erschossen worden. Nur die neun?, fragten sich die Zurückgebliebenen bange. Lea hungerte, und sie schlief kaum noch. Ihr Unterbewusstsein schien ihr einzuflüstern, dass sie ihren Mann durch Entsagung z u rückgewinnen könne.
    Erst fünf Tage nach Johans Verhaftung – das unselige Standrecht wurde an diesem Mittwoch endlich wieder au f gehoben – erhielt sie den amtlichen Bescheid. Johan und sein Vetter Moritz waren gemeinsam mit zahlreichen weit e ren politischen Häftlingen in einem der neu geschaffenen Anhaltelager interniert worden.
    Bei Lea und Nico mischte sich Erleichterung mit Sorge. Johan war nicht mehr der Jüngste. Konnte er die körperl i chen und nervlichen Strapazen einer solchen Haft durchst e hen? Unermüdlich unterstützte Nico seine Ersatzmutter beim Abfassen von Eingaben, beim Schreiben von Bittbri e fen, Einholen von ärztlichen Attesten und beim Aufsuchen alter Kunden, die auch im neuen Österreich über manche r lei Einfluss verfügten. Im Sommer 1934 zeichnete sich en d lich eine Lösung ab.
    Ein Mitarbeiter aus dem Büro von Richard Schmitz, dem neuen Bundeskommissär für Wien, besaß eine Offizierst a schenuhr, die buchstäblich abgesoffen war. Ihr Wert sei für ihn unschätzbar,

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