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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vier Jahren ›judenrein‹ sein muss. Von Mussolini hört man nichts dergleichen.«
    »Entschuldige, aber du bist ein Trottel, Nico. Da ist ger a de ein Krieg losgebrochen, und in solchen Zeiten ve r schwimmen alle feinen Nuancen. Bald wird es nur noch schwarz und weiß geben. Auf welcher Seite wirst du st e hen, wenn dieser größenwahnsinnige Schnauzbart aus Be r lin sagt: ›Wer nicht für uns ist, der kämpft gegen uns.‹?«
    »Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich mich von niemandem vereinnahmen lasse, Bruno. Außerdem gehen mir deine Spekulationen zu weit.«
    »Und was ist mit den Pfingstlern?«
    »Was soll mit ihnen sein?«
    »Die Leute von der Pfingstgemeinde sind zwar nicht nach meinem Geschmack, aber sie tun niemandem etwas. Trot z dem ist letzte Woche eine Familie aus Anzio verschleppt worden.«
    »Jetzt erzählst du mir wahrscheinlich gleich, dass sie die Pfingstler in ein Konzentrationslager gesperrt haben?«
    »Nein, aber sie werden ins innere Exil geschickt.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Verbannung alla Mussolini. Die Leute werden in abg e legene Dörfer gebracht und stehen unter Polizeibewachung. Wenn sie das Dorf verlassen, riskieren sie Gefängnis.«
    »Ist das dein Ernst?«
    »Die Bewegung hat viele Augen und Ohren, mein Freund. Schließ dich uns an.«
    Nico stöhnte. »Ein für alle Mal nein, Bruno. Aber ich danke dir trotzdem für deine Hilfe. Die Namenliste aus der Botschaft könnte der Schlüssel zu einem Kämmerchen sein, in das mich Manzini bisher nicht hat blicken lassen.«
    »Und was soll sich darin befinden?«
    Nico lächelte grimmig. »Don Massimilianos Strick.«
     
    Bruno hatte viel geredet, und die Zeit war wie im Fluge vergangen. Er wolle sich bald ein anderes Versteck suchen, hatte er zum Abschied gesagt. Von den Kammern unter dem Torre Astura wussten zwar nur wenige, aber auf Dauer war der Schlupfwinkel zu unsicher. Er versprach seinem Freund, sich wieder bei ihm zu melden.
    Die Schönheiten Latiums flogen wie ein braungrüner Fa r benschleier an Nico vorüber, als er nach Nettuno zurüc k fuhr. Die Vergangenheit schien mit eisigen Klauen nach ihm zu greifen Denunzianten gab es überall. Gehörte auch Manzini zu ihnen? Hatte er mit Karl Hass telefoniert, um ihm Namen aus dem Einwohnerverzeichnis der Stadt zu nennen. Namen von Juden oder anderen unbequemen Mi t bürgern? Wartete er nur auf eine Gelegenheit, diese Me n schen zu verraten? Er hatte schon einmal einen Juden kal t blütig getötet und sich nachher sein Haus angeeignet. War das die Antwort auf die Frage nach dem Warum? Irgende t was störte Nico an dieser Erklärung. Manzini hätte das Haus des Uhrmachers verkaufen oder vermieten können, stattdessen ließ er es leer stehen, die Tür verschlossen, die Fensterläden zugenagelt.
    Mit fast einstündiger Verspätung traf Nico am Hinterei n gang von Manzinis Palazzo ein. Während er noch Albino aufbockte, öffnete sich schon die schwere Tür im Haus. Sein Herz machte einen Sprung. So war es immer, wenn Laura ihn anlächelte.
    »Niklas! Endlich! Ich dachte schon, dir wäre etwas pa s siert.«
    Er trat auf sie zu, nahm ihre Hände und drückte sie. Mehr Nähe durften sie sich nicht gestatten. »Ich bin aufgehalten worden. Was macht dein Vater?«
    »Er hat getobt. Aber jetzt spricht er mit einem Besucher. Vermutlich wird er seinen Ärger über deine Verspätung nachher schon wieder vergessen haben. Geh schon mal vor. Vater hat vorhin etwas in der Kirche liegen lassen. Ich muss nur kurz zu Monsignor De Franceschi und komme gleich zu dir.«
    Schweren Herzens gab er ihre Hände frei und betrat den Palazzo. Obwohl es erst zehn Tage her war, seit Don Ma s similiano ihn mit seiner neuen Pflicht beauftragt hatte, ve r mochte sich Nico doch keinen Tag mehr ohne diese Bes u che vorzustellen. Damit er nicht im Arbeitszimmer seines Vorgesetzten herumschnüffeln konnte, hatte ihm Manzini wie erhofft seine Tochter als Aufseherin zugeteilt. Laura widmete sich ihrer Verantwortung mit großer Hingabe. Und weil die tägliche Pflege der Lebensuhr eine eher eintönige Beschäftigung war, boten sich den beiden umso mehr Gel e genheiten zum Austausch von Gedanken und kleinen Zär t lichkeiten: ein flüchtiges Streicheln seiner Wange, eine Berührung ihrer Knie unterm Tisch – alles war zart und neu. Gestern erst hatte Nico die Uhr in Lauras feingliedrige Hände gelegt, um diese dann mit den seinen zu umschli e ßen. »Spürst du den gleichmäßigen Schlag?«, fragte er sie. Laura schob

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