Der Herr der Unruhe
ihre Lippen an sein Ohr und hauchte: »Ja, Ni k las. Ich fühle es und würde ihn am liebsten in mir ei n schließen, um ihn nie wieder loszulassen.«
Allein die Erinnerung an diesen verzauberten Moment ließ Nico erneut schwindeln, während er über die Treppen zur Galerie im ersten Stock hinaufstieg und sich gerad e wegs zu seiner Wirkungsstätte begab. Die Tür war g e schlossen. Leise Stimmen drangen aus dem Raum, zu schwach, um sie zu verstehen. Der Besuch war also noch da. Nico verschränkte die Hände auf dem Rücken und sp a zierte ein paar Mal vor der Tür auf und ab. Gelangweilt warf er einen Blick in den Lichthof hinunter, wo Don Ma s similianos Kopf Michelangelos Adam verunzierte. Ob Br u nos Vater diesen Unsinn aus schierer Geldnot mitgemacht hatte? Vielleicht war das Mosaik für ihn ja eine willko m mene Gelegenheit gewesen, Manzinis wahres Ich bloßz u stellen, das des eitlen, dünkelhaften Menschen, der sich als Krone der Schöpfung sah?
Unschlüssig blickte sich Nico um. Von Laura immer noch keine Spur. Er wanderte einmal mehr die Galerie bis zum Ende hinauf. Als er vor der Stirnwand kehrtmachen wollte, öffnete sich hinter ihm die Tür von Manzinis Arbeitszi m mer, und er vernahm eine Stimme, die ihn aufhorchen ließ. Sie gehörte nicht etwa Don Massimiliano, sondern Amore, dem SS-Sturmbannführer aus der Deutschen Botschaft in Rom.
»Der Führer zählt auf Sie, Signor Manzini.«
Ja, der schwere deutsche Akzent war unverkennbar. Don Massimiliano zog inzwischen also das persönlich Gespräch mit Karl Hass dem Telefonieren vor. Was heckten die be i den aus? Nico huschte in die Schatten eines Türsturzes.
Zwei Männer traten aus dem Arbeitszimmer, die unte r schiedlicher kaum sein konnten. Manzini kontrastierte mit seinem schweren Körperbau und einer silbrig glänzenden Weste über den Hemdsärmeln mit einem aschblonden, schlanken, nicht sehr großen Mann in einem schlecht si t zenden grauen Anzug. Nico sah den Deutschen lediglich kurz von der Seite, danach nur noch von hinten. Manzini schloss das Büro ab, legte seinem Gast die Hand auf die Schulter und geleitete ihn zur Treppe. Er bemühte sich, seine raue Stimme nicht allzu laut tönen zu lassen.
»Seien Sie unbesorgt, mein Lieber. Es mag schwierig sein, aber ich werde mein Bestes tun. Sie nicht zu enttä u schen.«
»Das hört man gern. Nur zu Ihrer Beruhigung: Der Reichsführer SS bleibt niemandem etwas schuldig. Er hat mich bevollmächtigt, Ihnen schon jetzt jede notwendige Unterstützung zu gewähren, vorausgesetzt, die Geheimha l tung wird nicht verletzt.«
»Dessen können Sie versichert sein, Signor Hass. Beste l len Sie bitte Signor Himmler, er kann sich auf mich verla s sen.«
»Und wegen dieser zweiten Angelegenheit …«
»Wenn die Zeit gekommen ist, wird das Oberkommando der Wehrmacht über alles Nötige verfügen.«
»Gut. Dann werde ich Ihre Botschaft so an den militär i schen Stab des Führers übermitteln.«
»Tun Sie das. Wir halten weiter Kontakt, bis …«
Mehr konnte der Lauscher in den Schatten nicht verst e hen. Die zwei Waffenbrüder waren über die Treppe nach unten entschwunden. Der Hall ihrer Stimmen wurde rasch leiser.
Nico musste erst ein paar Mal tief durchatmen, bis er das Gehörte einigermaßen verdaut hatte. Wenn Don Massimil i anos Geheimnis eine Truhe mit sieben Schlössern war, dann hatte er soeben den zweiten Schlüssel dazu beko m men. Jedenfalls gab es nun keine Zweifel mehr daran, dass Amore mit dem SS-Offizier Hass identisch war. Der Stur m bannführer hatte Manzini die Unterstützung Heinrich Himmlers zugesagt. War Don Massimiliano ein Spion? Zur bestimmten Zeit wird sein Fuß wanken. Falls es gelänge, einen derartigen Verrat am eigenen Land zu beweisen, dann würde es für Don Massimiliano keine Protektion mehr g e ben. Das Ziel schien zum Greifen nah.
Aber was war mit »dieser zweiten Angelegenheit«? Ma n zini hatte das Oberkommando der Wehrmacht erwähnt. Was um alles in der Welt hatte der Vorsteher einer kleinen italienischen Stadt mit der deutschen Heeresleitung zu schaffen? »Geschäfte?«, flüsterte Nico, als könne er d a durch den Wahrheitsgehalt des Wortes schmecken. Manzini besaß bis nach Neapel hinab und im Norden bis weit über Rom hinaus etliche Firmen. Wer wie er keine Skrupel hatte, der konnte sich in Kriegszeiten eine goldene Nase verdi e nen. Nachschub hieß das Zauberwort, das schon über Sieg oder Niederlage mancher Armee entschieden hatte. Nur – und diese unbequeme
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