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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Manzini verschwunden war.
    Obwohl er glaubte, die tödliche Dosis an Seelengift b e reits empfangen zu haben, lebte er weiter. Und die nächsten Tage brachten neue Schmerzen. Uberto mochte sich wu n dern, weil das Paar bei den täglichen Sitzungen zum Wohle der Lebensuhr nur noch wenig tuschelte und auch sonst sehr ernst wirkte. Für Nico war es kaum noch erträglich, neben Laura zu sitzen und ihre Enttäuschung wie eine u n sichtbare Wand zwischen ihnen zu spüren; jeden Tag schien sie undurchdringlicher zu werden.
    Dieses an sich schon infernalische Ambiente betrat dann auch noch ein neuer Asmodi: Genovefa Manzini. Nico hatte sie schon aus dem Kanon seiner persönlichen Plagegeister ausgesondert, aber nun wandelte sie wieder durch die Gä n ge und Räume des Palastes an der Piazza Umberto I. Nicht er allein fragte sich, was sie so plötzlich in die Arme ihres Mannes zurückgetrieben hatte. War sie nur eine Schickse, wie Meister Johan gesagt hätte, eine leichtlebige Frau, oder hatte sie all die Monate tatsächlich in einem Schweizer S a natorium zugebracht, weil ihr Geist an einer Krankheit litt?
    Sie war nicht mehr dieselbe, das bemerkte Nico schon nach kurzer Zeit. Donna Genovefa wirkte durchaus wie ein Geist, wenn er ihr manchmal auf der Galerie im duftigen Negligee begegnete. Früher hätte sie vielleicht versucht, ihn zu verführen – sie war immer noch schön –, aber nun schritt sie mit wallendem Hauskleid lautlos an ihm vorüber und beachtete ihn kaum. Auch von anderen Bewohnern des P a lazzo nahm sie wenig Notiz. Sie schien in ihrer eigenen Welt zu leben.
    Dann kam der 10. Juni 1940. Mussolinis Selbstbeher r schung war am Ende. Auch Italien sollte ein paar Stücke vom großen Kuchen abbekommen, den Deutschland ang e schnitten hatte. Also erklärte er Frankreich und Großbrita n nien den Krieg. Hatte Manzini schon vorher davon gewusst und deshalb seine Ehefrau aus der Schweiz zurückgeholt?
    Fünf Tage später verfügte die faschistische Regierung die Verhaftung aller jüdischen Männer, die staatenlos bezi e hungsweise deutscher, polnischer oder tschechischer Nati o nalität waren. Am darauf folgenden Montag verschwand aus Nettunia die sechsköpfige Familie Katz, die aus dem litauischen Memel stammte. Nico sprach mit Nachbarn, die seine Befürchtungen bestätigten. Kurz vor Tagesanbruch habe ein Lastwagen vor dem Haus gehalten, in dem die Juden wohnten, und sei wenige Minuten später mit ihnen fortgefahren. Niemand wisse wohin. Es kostete Nico keine große Mühe herauszufinden, dass die Gemeinde das Eige n tum der Emigrantenfamilie sofort beschlagnahmt hatte – auf persönliche Anordnung von Massimiliano Manzini.
    Noch hielten sich derartige Vorkommnisse in Grenzen, nichts im Vergleich zu dem, was Nico in Wien erlebt hatte, aber würde es so bleiben? Er musste endlich Licht in die Machenschaften des Podestà bringen. Das war er nicht a l lein seinem ermordeten Vater schuldig, sondern auch jenen Menschen, die man womöglich als Nächstes wie schwarze Katzen in Säcke stecken und davonkarren würden. Aber wie sollte er das tun?
    Der offizielle Weg schied aus, so viel hatten die Morde vor acht Jahren gezeigt. Niemand würde einer Anzeige nachgehen, die Massimiliano Manzini des Mordes und der Veruntreuung bezichtigte, schon gar nicht, wenn sie auf den vagen Vorwürfen eines kleinen Gemeindemechanikers b e ruhte. Und dann gab es da noch die zweite Möglichkeit.
    Nico hatte das Auftragsbuch seines Vaters in Manzinis Tresor gesehen. Er konnte sich nicht erklären, warum di e ses Beweisstück überhaupt noch existierte. Vielleicht hatte es mit der Lebensuhr und Don Massimilianos krankhaftem Aberglauben zu tun. Zumindest war die Kladde ein han d festes Indiz. Emanuele dei Rossi hatte die Angewohnheit, jeden Abholungstermin für eine Kundenuhr in seinem Buch zu notieren. Auch der Besuch des Mörders musste darin vorgemerkt sein. Mit diesen Aufzeichnungen konnte ein gesetzestreuer Staatsanwalt Ermittlungen gegen Manzini einleiten und bestimmt auch seine Verhaftung erwirken, wenn nicht sofort, so doch irgendwann. Zunächst musste sich Nico jedoch das Corpus delicti verschaffen.
    Gewiss, da gab es das achte Gebot: Du sollst nicht ste h len! Das ließ wenig Spielraum offen. Für seinen Vater und auch für Meister Johan gehörte es auch zum Verhaltensk o dex eines jeden Uhrmachers. Wer im Kundenauftrag mit Gold und anderen edlen Werkstoffen hantierte, dessen Eh r lichkeit musste über alle Zweifel erhaben sein. Aber

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