Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Nico.
    Don Massimiliano sperrte sein Arbeitszimmer ab, wünschte dem Hüter der Lebensuhr eine gute Nacht und stampfte davon. Merkwürdigerweise nahm er nicht die Treppe zum zweiten Obergeschoss, sondern die nach unten führende. Vermutlich würde er seiner Tochter telefonisch den Befehl zur Nachtschicht übermitteln. Es blieb also w e nig Zeit.
    Von diesem Augenblick an war Nico jeden einzelnen Schritt mindestens ein Dutzend Mal in Gedanken durchg e gangen. Er kratzte sich – außerplanmäßig – an der Schulter, zog einen Dietrich aus der Tasche und steckte ihn gefüh l voll ins Schloss. Seine Linke legte sich auf die Türklinke. Leise summte er vor sich hin, während sein Sinn sich auf den einfachen Mechanismus einstellte. Wie vermutet war die Sperrvorrichtung ziemlich alt und, genauso wie zuwe i len menschliche Greise, von ausgesprochen widerborstiger Natur. Nico hatte sich zuvor gefragt, ob er überhaupt mit dem Eisenhaken im Schlüsselloch herumstochern sollte. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt für unnötige E x perimente. Wenn er erst einmal im Arbeitszimmer war, würde er seine Begabung ohnehin auf eine harte Probe ste l len müssen.
    Er drehte den Dietrich entgegen dem Uhrzeigersinn und drückte die Klinke nieder. Die schwere Tür schwang kna r rend auf. Auch nachdem er ins Zimmer gehuscht war, ließ er sie angelehnt. Mit zitternder Hand schaltete er die D e ckenbeleuchtung ein. »Du bist kein Dieb«, murmelte er. Auf dem Weg zum Tresor zog er hinten das Hemd aus der Hose.
    Nico gestattete sich einen erleichterten Seufzer, als er endlich den rauen Jutesack vom Rücken ziehen konnte. Er hatte zu Hause nicht einmal ansatzweise geahnt, welche Qualen ihm das zu einem flachen Rechteck gefaltete Sac k tuch bereiten würde. Das Holzpaneel in der Säule war u n gesichert. Es wurde nur von einem Schnappverschluss gehalten und ließ sich leicht aufklappen. Jetzt kam das schwerste Stück Arbeit: das Zahlenschloss des Safes.
    Egal ob aus redlichen oder unlauteren Absichten, je be s ser man einen Menschen kennt, desto leichter wird es e i nem fallen, sein Vertrauen zu gewinnen. Bei Panzerschrä n ken ist das nicht anders, sofern man die Gabe besitzt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Nico hatte sich in der G e meindebibliothek mit der Technik von Kombination s schlössern vertraut gemacht. Das Exemplar in Manzinis Sicherheitsschrank besaß drei konzentrische Ringe, von denen jeder einhundert Raststellungen einnehmen konnte.
    »Der Hauptgewinn ist unter neunhundertneunundneunzi g tausend Nieten versteckt. Zu viel zum Herumprobieren, nicht wahr, mein Kleiner?« Seine Stimme klang, als wolle er Freundschaft mit einem scheuen Hündchen schließen. Die Linke wie zur Beruhigung auf den kalten, schwarzen Stahl der Tür gelegt, drehte er mit der Rechten langsam den Knopf zur Wahl der Zahlenkombination. Er merkte gar nicht, wie er wieder zu summen begann. Abrupt hielt er inne.
    Nico lächelte. »Im bin im zweiundzwanzigsten Leben s jahr. Die Nummer gefällt mir, mein Süßer. Was hast du als Nächstes zu bieten?«
    Jetzt drehte er den Wählknopf in die umgekehrte Ric h tung, also rechtsherum, bis die Null fast unter der Einstel l markierung stand. »Eine Eins. Es ist das erste Mal, dass ich einen Tresor knacke. Jetzt verrat mir noch die dritte Zahl, mein kühler Freund.«
    Wieder suchte er entgegen dem Uhrzeigersinn – und wu r de spät fündig. »Einundachtzig?«, flüsterte er. Mit der Li n ken drückte er den Entriegelungshebel herum. Ein Stahlstift schob sich durch die drei in Reihe stehenden Schlitze der verborgenen Einstellringe. Mit einem Ruck öffnete er den Schrank. Nico grinste. »22. Januar 1881? Wenn das mal nicht Ihr Geburtsdatum ist, Don Massimiliano! In einem guten halben Jahr werden Sie sechzig. Vorausgesetzt, Sie enden nicht vorher am Galgen.«
    Das Auftragsbuch seines Vaters lag noch immer ganz u n ten im Tresor. Ob sich am übrigen Inhalt etwas geändert hatte, konnte er nicht abschätzen. Die braunen und schwa r zen Aktendeckel glichen sich wie ein Ei dem anderen. Schnell zog er die in Leder gebundene Kladde, als deren rechtmäßiger Eigentümer er sich betrachtete, unter dem Dokumentenstapel hervor.
    Seine Hand zitterte. Als zwinge ihn eine fremde Kraft, spreizte er die Finger, und das Buch klappte bei der Metal l klammer auf die seinem Vater als Lesezeichen gedient ha t te. Er spürte, wie eine wilde Entschlossenheit in ihm au f stieg, als er den letzten Eintrag las.
     
    Kunde wünscht keinen

Weitere Kostenlose Bücher