Der Herr der Unruhe
z u rückholen, weil ich ihn bereits aus dem Gedächtnis der Kapsel abgerufen habe«, entschuldigte er sich. »Karl Hass – das ist der Deutsche, den ich eben erwähnte – sagte in etwa: ›Wir müssen jetzt noch vorsichtiger sein. Also ne n nen Sie nicht meinen Namen!‹ Die Antwort deines Vaters darauf lautete …« Er ließ seine Gabe auf die Kapsel ei n wirken. Mit einem Mal begann die Membran des Mikrofons zu schwingen, die Wellen pflanzten sich in der Luft fort und trafen auf sein Trommelfell. »Ist mir recht. Haben Sie etwas herausgefunden?«, wiederholte er Manzinis Antwort. Unbewusst ahmte er sogar den tiefen Klang seiner Stimme nach. Jetzt deutete er auf Laura. »Was hörst du?«
Ihre Augen wurden groß. Alle Farbe wich aus ihrem G e sicht. Sie zuckte zurück.
»Sprich!«, forderte Nico sie eindringlich auf und legte seine Hand wieder an ihr Ohr. Mit leiser Stimme wiederho l te sie die Worte des SS-Sturmbannführers und fiel dabei unwillkürlich in dessen schweren Akzent.
»Ja. Hat zwar ein paar Monate gedauert, aber wie ich I h nen bereits sagte, bleibt der Reichsführer SS niemandem etwas schuldig. Was ich Ihnen jetzt mitteile, werde ich nicht wiederholen. Haben Sie etwas zu schreiben da?«
»Ja«, wiederholte Nico an Manzinis statt.
»Gut. Die Identität des von Ihnen Gesuchten konnte be s tätigt werden«, antwortete Laura für Karl Hass.
»Was genau bedeutet das?«
Laura begann zu zittern. Ihr Antwort kam zunächst nur stockend. »D-der … Der Vollwaise … Niklas Michel lebte seit dem 29. Mai 1932 bei einem jüdischen Uhrmache r meister namens Johan Mezei und seiner Frau Lea in der Wiener Porzellangasse 30. Sein Vormund war Siegfried Huber, ein katholischer Beamter im damaligen österreich i schen Innenministerium. Nach dem Tod seiner Mutter hatte Michel einige Zeit im Kapuzinerkloster Meran zugebracht. Die Adresse lautet Rennweg 153. Danach brachte man ihn ins Franziskanerkloster ›zum heiligen Hieronymus‹ in Wien.«
Nicos Knie wurden weich. Trotzdem spielte er das Spiel weiter. »Aber das steht doch alles in seinem Lebenslauf!«
»Während meiner Ausbildung habe ich gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen«, erwiderte Hass mit der Stimme von Laura.
»Ach, und was konnten Sie dort entdecken?«
»Ich kann Ihnen weder sagen, ob Niklas Michel der Junge ist den Sie suchen, oder nicht. Aber ich finde es merkwü r dig, dass die Kapuziner ein Waisenkind den Franziskanern – also einem konkurrierendem Orden – zuschieben. Norm a lerweise bleiben die Betbrüder jeder Kongregation unter sich.«
»Sie sind Protestant, nehme ich an?«
»Wie haben Sie das erraten?«
»Wären Sie Katholik, dann wüssten Sie vermutlich, dass aus dem ersten Orden des heiligen Franz von Assisi drei Kongregationen hervorgegangen sind: die Franziskaner, die Kapuziner und die Konventualen. Sonst haben Sie nichts herausgefunden?«
»Ehrlich gesagt, war mir das neu. Trotzdem, finden Sie es nicht merkwürdig, dass ein katholischer Beamter sein Mündel auf Jahre in die Obhut von Juden gibt?«
»Damit haben Sie allerdings Recht. Andererseits kam der Junge ja schon 1932 nach Wien. Vielleicht war man seine r zeit dort noch duldsamer gegenüber den Juden als im Deu t schen Reich.«
»Kann sein, zumindest im Fall dieses Siegfried Huber. Er scheint sich um seinen Pflegebefohlenen ohnehin nicht sonderlich gekümmert zu haben. Für den vermeintlichen Widerspruch könnte es aber noch eine andere Erklärung geben: Stellen Sie sich vor, Niklas Michel wäre gar nicht der katholische Bursche, für den er sich ausgibt, sondern …« Lauras Stimme verstummte.
»Sondern?«, echote Nico.
Sie schloss die Augen, rang nach Luft und blickte ihn d a nach auf eine schwer zu beschreibende Weise anders an. Als sähe sie ihn zum ersten Mal klar und deutlich. Ihre Stimmte bebte, als sie die Worte aus der Ohrmuschel wi e derholte.
»Sondern ein Jude mit gefälschten Papieren.«
Nico schluckte. Zwischen zusammengebissenen Zähnen repetierte er: »Gleich zu gleich gesellt sich gern.«
Lauras Stimme wurde immer schwächer. »Machen Sie daraus, was Sie wollen, mein Freund. Mein Gefühl sagt mir, dass mit diesem Burschen etwas nicht stimmt. An Ihrer Stelle würde ich weitere Nachforschungen in Meran anste l len. Sie haben ja schon bewiesen, über welch ausgezeichn e te Kontakte Sie in Italien verfügen.«
»Ich danke Ihnen.«
»Eine Hand wäscht die andere. Ich wünsche Ihnen eine gute …« Laura schwankte, aber Nico legte rasch den Arm um
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