Der Herr der Unruhe
ihre Taille, um sie festzuhalten. Dabei fielen beide Ka p seln zu Boden.
»Komm, setz dich erst einmal.« Er half ihr in den Stuhl.
Sie blickte starr auf die vor ihr liegende Schreibunterlage. Ihre Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg. »Das ist doch nicht irgend ein geschmackloser Scherz, den du dir da …?«
»Nein, es …« Er streichelte etwas unbeholfen ihren Kopf und spürte, wie aus ihm die Wahrheit herausdrängte. Wenn es nur nicht so schwer wäre, die angemessenen Worte zu finden! Er atmete tief ein.
»Das Telefonat hat genauso stattgefunden. Dein Vater spioniert mir nach, Laura. Ich glaube, er ahnt, wer ich wir k lich bin.«
Ihr Kopf fuhr abrupt herum. »Ich habe seit unserer ersten Begegnung geahnt, dass du kein Katholik bist.«
»Es ist ein wenig komplizierter, Laura.«
»Dann erkläre es mir endlich. Vielleicht kann ich Papàs Misstrauen zerstreuen.«
Die Hand hob sich vom Haupt des Mädchens. Nico sah, wie seine Finger zitterten, und er konnte nichts dagegen tun. An seinem ganzen Körper brach ihm der Schweiß aus. Er gab dem Bedürfnis nach, sich an der Tischkante festz u klammern. Vermutlich wurde ihm gleich schwarz vor A u gen. »Laura …«, begann er, wusste aber nicht, wie er for t fahren sollte.
Sie legte ihre Hand auf die seine. »Du glühst ja!«
»Sagt dir der Name dei Rossi etwas?«
»Du meinst Emanuele dei Rossi? Den armen Uhrmacher, der die Lebensuhr meines Vaters geschaffen hat und kurz danach auf so schreckliche Weise umgebracht worden ist?«
»Genau der. Er … war mein Vater.«
Lauras Hand zuckte zurück. Ihre Augen wandten sich von ihm ab, um auf dem Schreibtisch unstet nach irgendeinem Halt zu suchen. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Niklas. Das kann nicht wahr sein. Der Meister hatte nur einen Sohn, und der wurde ebenfalls umgebracht.«
»Hat dein Vater dir das erzählt?«
»Da kannst du jeden in Nettuno fragen.«
»Manche erzählen auch, Nico dei Rossi sei lediglich ve r schwunden. Und das bin ich auch. Jahrelang habe ich als Niklas Michel in Wien gelebt, und als der bin dann auch zurückgekehrt.«
Ihr Blick wandte sich ihm wieder zu. »Wozu? Um die Uhr deines Vaters zurückzufordern?«
Er schüttelte den Kopf und erwiderte traurig: »Dazu bräuchte ich keine zwei Jahre, Laura. Kannst du dir nicht denken, was der Grund meiner Rückkehr ist?«
»Du … suchst den Mörder deines Vaters?«, flüsterte sie.
»Das ist gar nicht nötig. Ich habe den Mord mit anges e hen. Der Mörder weiß es. Er hat mich verfolgen und zwei weitere Menschen umbringen lassen, weil er glaubte, sich dadurch des einzigen Zeugen seiner Tat entledigen zu kö n nen.«
»Und … wer ist …?« Ihre Stimme erstarb.
Nico war voll bitterem Schmerz. Zu der entscheidenden Antwort fehlte ihm die Kraft. Er konnte Laura nur qualvoll anblicken. Aber offenbar genügte ihr das.
Sie begann den Kopf zu schütteln. »Nein«, hauchte sie. Tränen ergossen sich über ihre Wangen. Die Bewegung ihres Hauptes wurde heftiger, geradezu trotzig. »Nein! Das kann nicht sein«, stieß sie hervor.
Ohne sich dagegen wehren zu können, fühlte Nico, wie sich sein Herz in einen kalten Stein verwandelte. »Doch«, sagte er ruhig. »Verstehst du jetzt, warum ich all die Mon a te lang geschwiegen habe, wenn du mich nach meinem G e heimnis gefragt hast? Dir verdankt dein Vater sein Leben, denn wenn du nicht da gewesen wärst, dann hätte ich ihn in der Nacht, als der Blitz die Uhr des Kommunalpalastes ze r störte, umgebracht. Aber seine Tat darf nicht ungesühnt bleiben. Ich habe gesehen, wie er meinem Vater ein Messer in die Brust rammte. Wegen eines unglücklichen Zitats im Deckel der von ihm in Auftrag gegebenen Taschenuhr. Du hast sie selbst lange genug aufgezogen und kennst die Wo r te.«
»›Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht‹?«, flüsterte Laura mit glasigen Augen.
»Kannst du immer noch zu ihm stehen, wo du jetzt weißt, was er getan hat?«
Ihr Blick wanderte fahrig durch den Raum, bis er schlie ß lich auf seinem Gesicht verharrte. Obwohl sie den Mund öffnete, brachte sie zunächst keinen Laut heraus. Nur ihre Unterlippe zitterte, und ihre Miene verriet die tiefe Ve r zweiflung, die sich in ihre Seele brannte. Schließlich an t wortete sie mit kaum hörbarer Stimme.
»Nein.«
»Was hast du gesagt?«
Sie starrte erneut die Schreibunterlage an und schüttelte dabei entschieden den Kopf. »Mein Vater ist kein Mörder.«
»Aber …«
»Manchmal ist er jähzornig, das stimmt. Aber
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