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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Amerikaner. Die Invasion beginnt.«
    Ehe die Tortora etwas erwidern konnte, stand der Himmel in Flammen, ein vielstimmiges Pfeifen ließ die Luft vibrieren, und von überall ertönten Explosionen. Das Haus bebte.
    »Du hast Recht«, rief sie. »Der Krieg kommt zu uns nach Nettunia.«
    Unvermittelt begann Doktor Montis Radio zu sprechen. »Melden Sie unverzüglich dem Oberkommando, was hier los ist. Wir werden angegriffen. Die Amis kommen. Sie sollen uns dringend Luftunterstützung schicken, und die Artillerie soll den Hafen von Anzio in ein Flammenmeer verwandeln, sonst werden wir überrannt.«
    Ein wahres Trommelfeuer ging jetzt auf die Stadt nieder. Die Tortora schrie: »Tu was, Nico! Wenn der Funkspruch rausgeht, dann könnte die Landung der Alliierten scheitern.«
    »Was …?« Er starrte sie ungläubig an. Nach dem Vorfall in den Pontinischen Sümpfen hatte er sich geschworen, sich nie mehr in diesen Krieg einzumischen. »Ich kann nicht …«
    »Du musst !«, keifte ihn die Alte an und sah dabei aus wie die böse Hexe aus Hänsel und Gretel.
    »Aber das Radio kann nur hören. Wie soll ich …?«
    Im Nachbarhaus schlug eine Rakete ein.
    »In dir steckt mehr, als du für möglich hältst, Jungchen. Das habe ich von Anfang an gewusst. Störe ihren Funkverkehr. Summ ihnen was vor. Aber sorg dafür, dass die Landungstruppen Zeit gewinnen!«
    Mühsam riss er sich von ihr los, umklammerte mit beiden
    Händen das Radio. In der Stadt jenseits der Fenster flackerten verschiedene Feuer. Nico fragte sich, ob er tun sollte, was sie da verlangte. Und ob er es überhaupt konnte.
    Aus dem Lautsprecher drangen überraschend klar verständ-
    liche Worte. »Hier schwarzer Marderbau. Schwarzer Marderbau ruft Adlerhorst. Bitte kommen!«
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    Immer noch zögerte Nico. Rettete er wirklich Leben, wenn er sich jetzt einmischte? Im Circeo-Nationalpark hatte er genau das Gegenteil erreicht.
    »Adlerhorst hört Sie, schwarzer Marderbau. Es ist zwei Stunden nach Mitternacht. Benutzt bitte den neuen Code, Kameraden.
    Ende.«
    »Nico dei Rossi!« , kreischte die alte Frau. »Willst du, dass Zehntausende von Soldaten im Meer ersaufen?«
    »Negativ, Adlerhost. Machen Sie sich bereit. Es folgt eine unverschlüsselte Eilmeldung an das Oberkommando. Ende.«
    »Seid ihr verrückt geworden? Haltet euch an die Vorschriften.
    Ende.«
    »Keine Zeit, Adlerhorst. Vor ein paar Minuten hat hier …«
    Die Meldung ging in einem Rauschen unter. Nico saß immer
    noch vor dem Radio und hielt es mit beiden Händen umklammert.
    Seine Augen waren geschlossen. Er zitterte.
    »Hast du das getan?«, fragte die Tortora hektisch.
    Er antwortete nicht. Schweiß rann ihm über die Stirn. Seine ganze Konzentration richtete sich auf die Funkstation, über die er mit einem unsichtbaren Band verbunden war.
    »Nico!«, drängte die alte Frau. »Ist nur unser Radio ausgefallen, oder hast du es geschafft?«
    Mit einem Mal entspannte er sich. Seine Hände sanken auf den kleinen Tisch, auf dem das Gerät stand. Erschöpft wandte er sich zu der Witwe um. »Der Funker wird ein paar Stunden brauchen, bis ihm sein Gerät wieder gehorcht.«
    Abermals schlug eine Rakete in unmittelbarer Nähe ein. Putz rieselte von der Decke. Irgendwo klirrten Fensterscheiben. Signora Tortora klopfte Nico auf die Schulter. »Du bist ein Wunderkind, Jungchen, aber jetzt lass uns hier verschwinden.«

    Die Stunden bis zum Morgen wälzten sich quälend lange dahin.
    Nico verbrachte sie in Gesellschaft von Signora Tortora und einer zunehmend schwächer werdenden Handlampe in einer
    Höhle unter der Stadt. Immer wieder bebte die Erde unter den 461
    Einschlägen der Raketen. Es war gar nicht daran zu denken, sich oben sehen zu lassen. Zwischen dem provisorischen Bunker und dem größeren Gängelabyrinth weiter westlich gab es keine Verbindung, was Nico mit wachsender Unruhe erfüllte. Die Witwe hatte diesen Ort zwar als enorm tief und daher besonders sicher gepriesen, aber er wusste nicht, ob ihm wirklich an diesen Vorzügen gelegen war. Er wollte lieber bei Laura sein.
    »Hoffentlich ist sie in den Keller geflüchtet.«
    »Dein Mädchen? Mach dir keine Sorgen, Jungchen. Donna
    Laura ist die Einzige im Manzini-Clan, deren Herz genauso groß ist wie ihr Verstand.«
    Nico saß neben der Alten auf einer in den Fels gehauenen
    Bank und sah sie verwundert an.
    Sie kicherte. »Man braucht beides, um ein wertvoller Mensch zu sein.«
    Er seufzte. »Das ist sie. Zu wertvoll für mich.«
    »Was redest du

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