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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Artilleriefeuer in Deckung zu gehen und nach Wasser zu suchen, in das meine Kameraden noch nicht gepisst hatten, selten ein Pferd zu Gesicht bekam.
    Ich packte das Schwert beim Griff und hob es an. Es fühlte sich gut und irgendwie natürlich an, es wieder in der Hand zu haben. Ich nahm einen Schleifstein aus dem Kasten und wetzte die Schneide, bis sie so scharf war, dass man sich damit rasieren konnte. Im Stahl spiegelte sich mein Gesicht, in dem sich meine alten Narben mit den jüngst erworbenen Prellungen und blauen Flecken mischten. Ich sah alt und verbraucht aus – und konnte nur hoffen, dass ich dem, was mir bevorstand, gewachsen sein würde.
    Ich langte erneut in die Kiste und holte zwei Dolche mit flachem Griff heraus, die für einen Nahkampf zu klein waren, sich aber gut zum Werfen eigneten. Den einen schnallte ich mir an die Schulter, den anderen schob ich in meinen Stiefel. Als Letztes steckte ich mir einen bronzenen Schlagring mit drei gefährlich aussehenden Spitzen in die Manteltasche, um ihn stets griffbereit zu haben.
    Jetzt lag nur noch ein dickes viereckiges Paket in der Kiste, das ich dort seit dem Krieg aufbewahrte. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Inhalt des Pakets unversehrt war, legte ich es in die Kiste zurück und schob diese wieder unters Bett. Da mir der Aufzug ein bisschen peinlich war, zog ich meinen Mantel über den Griff des Schwerts, bevor ich nach unten ging.
    »Wo wurde das Mädchen gefunden?«, fragte ich Adolphus.
    »Südlich der Light Street. Drüben beim Kanal. Willst du da etwa hin?«
    Es hatte keinen Sinn, Adolphus zu erklären, was für einen Handel ich mit der Spezialabteilung geschlossen hatte, jedenfalls vorerst nicht. Deshalb ignorierte ich seine Frage und wandte mich an Zeisig.
    »Hol deine Jacke. Ich werde dich eine Weile brauchen.«
    Da er annahm, dass ihm Interessanteres bevorstand, als Nachrichten zu überbringen und mir Essen zu holen, leistete Zeisig meiner Aufforderung mit ungewohnter Begeisterung Folge. Adolphus musterte mich von oben bis unten und bemerkte das Schwert, das sich unter meinem Mantel abzeichnete.
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde einen alten Freund von uns besuchen.«
    Adolphus sah mich mit seinem einen Auge forschend an. »Warum das?«
    »Weil ich heute noch nicht genug Aufregung gehabt habe.«
    Zeisig kam zurück, eingemummelt in die scheußliche Wolljacke, die Adeline für ihn genäht hatte.« Hab ich dir schon mal gesagt, wie hässlich das Ding ist?«
    Er nickte.
    »Dann weißt du ja Bescheid.« Ich drehte mich zu Adolphus zurück. »Der Junge wird vor Sonnenuntergang wieder da sein. Wenn Nachrichten für mich kommen, dann nimm sie entgegen.«
    Adolphus nickte. Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich ihm keine weiteren Einzelheiten verraten würde. Zeisig und ich verließen den Torkelnden Grafen und machten uns auf den Weg nach Westen.

16
    Zwanzig Minuten saß ich im Dunkeln, im Besucherstuhl zurückgelehnt, die Füße auf dem Schreibtisch aus gebeizter Eiche, der das Zimmer beherrschte, bis Grenwald endlich hereinkam. Ich hatte schon befürchtet, dass ich wie ein Blöder ewig in seinem Büro herumhängen würde, nur weil er beschlossen hatte, sich den Rest des Tages freizunehmen. Doch es war sehenswert, wie er reagierte, als er mich erblickte. Sein ganzes überhebliches Gehabe verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in einen Ausdruck tiefsten Entsetzens.
    In den letzten zehn Jahren hatte mein ehemaliger Vorgesetzter gewaltig Karriere gemacht, obwohl sich in dieser Zeit bedauerlich wenig an seinem Charakter oder an seinem schlaffen, nagetierhaften Gesicht geändert hatte. Sein Mantel sah teuer aus, passte aber schlecht, und sein einst sehniger Körper hatte schneller Fett angesetzt, als es bei Menschen mittleren Alters gemeinhin üblich ist. Ich strich ein Zündholz am Schreibtisch an und hielt die Flamme an meine Zigarette. »Hallo, Oberst. Wie geht’s denn so?«
    Er knallte die Tür zu, weil er nicht wollte, dass sein Personal etwas von unserem Gespräch mitbekam. »Wie zum Teufel sind Sie hier reingekommen?«
    Ich blies das Streichholz aus und wiegte den Kopf hin und her. »Oberst, Oberst. Ich muss gestehen, ich bin gekränkt. Begrüßt man so einen lieben Freund?« Missbilligend schnalzte ich mit der Zunge. »Begegnen sich so zwei alte Kameraden wieder, die durch die Bande unseres edlen Kreuzzugs verknüpft sind?«
    »Nein, nein. Natürlich nicht«, erwiderte er. »Ich war nur überrascht, Sie zu sehen. Tut mir

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