Der Herr der zerstörten Seelen
Um Gottes willen, was haben Sie denn?«
Sie lag in ihrem Bett in Starnberg. Sie sah die vertraute Goldfarbe der Vorhänge, den kleinen, mit Papieren übersäten Schreibtisch, den Kleiderschrank – und Hanne, die den Teewagen ans Bett gerollt hatte, auf dem das Frühstück wartete.
»O Gott, Frau Folkert … Sie haben geträumt, nicht wahr? Ich auch. Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Es ist alles so schrecklich …«
Alles so schrecklich? – Die Wirklichkeit brach über Do herein, und sie war schlimmer als der Alptraum, den sie gerade erlebt hatte. Sie kniff die Augen zusammen und massierte die Schläfen. Sie sagte sich: Du stehst das durch. Und dann befahl sie sich: Ganz ruhig jetzt, nur ruhig … Gedanken ordnen. Nachdenken.
»Der Herr Professor hat heute hier übernachtet«, hörte sie Hanne sagen. »Im Gästezimmer. Er hat gesagt, sobald sich Kati meldet oder Sie irgend etwas Neues erfahren, dann sollen Sie ihn doch bitte anrufen.«
Do nickte. Ruhig sein … Nachdenken …
»Wollen Sie Kaffee oder Tee?«
»Kaffee …«
Sie schob sich aus dem Bett. Ihr Körper fühlte sich wie gerädert und zerschlagen an. Noch immer. Aber das würde sich geben. Sie würde ihn, sie würde sich in Schwung bringen.
Also, was zuerst? Der Verlag natürlich … Den Verleger anzurufen, dazu hatte Do keine Lust, sie kannte den Alten. Schmidt-Weimar würde sie in eine seiner Endlosdebatten verwickeln, aber bei Engelmann, dem Chefredakteur, mußte sie sich melden. Do tippte seine Durchwahl ein.
»Ah, Frau Folkert!« Helen Weiss, Engelmanns Sekretärin, stieß einen Überraschungsschrei aus. »Herr Engelmann hat schon angerufen und nach Ihnen gefragt.«
»Ist er nicht im Verlag?«
»Nein. Herr Engelmann kommt erst am Nachmittag zurück. Er mußte zu irgend so einer Fernsehgeschichte. Er hatte es furchtbar eilig.«
Das hatte es Engelmann meist.
»Und Schmidt-Weimar?«
»Der ist heute morgen beim Arzt.«
Dies bedeutete eine Galgenfrist. Sie würde am Nachmittag im Verlag auftauchen, beschloß Do, oder besser, erst mal mit Engelmann am Telefon sprechen. Sie wunderte sich, wie fern ihr dies alles geworden war: der Verlag, die Arbeit. Natürlich konnte sie Ärger bekommen, das Israel-Thema war Schmidt-Weimars ureigenes Baby. Sollte er sich doch zum Teufel scheren! Wen sie jetzt brauchte, das war Tommi Reinecke …
Es war zehn Uhr dreißig, als Do den Wagen auf den Parkplatz vor dem Verlagsgebäude steuerte.
Sie stieg aus und ging auf die drei Marmorstufen zu, die zu der großen gläsernen Eingangstür führten, und blieb erst einmal stehen. Sie erkannte Seifert, den Chefportier, hinter seinem Schreibtisch, sie sah das Licht, das auf den hohen Messingkandelabern glänzte.
Vor sechs Jahren, als das ›Heute‹ den Auflagensprung von sechs- auf achthunderttausend geschafft hatte und damit auch von den beiden anderen Nachrichtenmagazinen ernst genommen wurde, hatte Schmidt-Weimar beschlossen, die Redaktion aus dem unansehnlichen Zementblock in der Ainmillerstraße hierher in das neue supermoderne und superteure Verlagsgebäude am Arabella-Park zu verlegen. Und wer seither durch diese Türen ging, war beeindruckt von den grauweißen Marmorfliesen, von der Eleganz und der Höhe des Raumes.
Neben dem Lift hingen zwei überlebensgroße Fotografien. Die eine zeigte Do Folkert in einer schußsicheren Weste, eine verrutschte Sonnenbrille auf dem verschwitzten Gesicht, die Ärmel des Khakihemds hochgekrempelt, Falten auf der Stirn: 1994. Der Sommer in Sarajewo. Auf der anderen Seite der Fahrstuhltüren hing ein zweites Foto: Dieter Engelmann, der Redaktionschef.
Beide Fotos steckten in teuren Wechselrahmen. Sie galten im Verlag als exaktes Barometer für die augenblickliche Verleger-Gunst: Wer im Rahmen war, stand ganz oben. Die Frage blieb nur: Für wie lange?
Do hatte weder Lust, an dem Erfolgspaar Folkert–Engelmann vorüberzugehen, noch irgend jemand anderem zu begegnen.
Sie stieg wieder in ihren Wagen und steuerte ihn durch die Durchfahrt in den Hof der Druckerei. Hier gab es einen anderen Eingang, durch den man gleichfalls ins Reporterzimmer gelangen konnte.
Sie mußte Tommi finden.
Nur Tommi konnte ihr jetzt weiterhelfen. Im ganzen Laden verfügte keiner über so gute Beziehungen wie er. Von der Polizei bis zu den Pennerheimen – Tommi kannte die Stadt wie keiner, kannte jede Szene, jeden Winkel, jede Möglichkeit. Und was noch wichtiger war: In Situationen wie dieser gab es keinen besseren Freund als ihn!
»Wo
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