Der Herr der zerstörten Seelen
ziemlich heiße Sache. Ich kann dir seine Mobil-Nummer geben.«
Er griff nach dem Kugelschreiber, schrieb ihr die Nummer auf ein Memoblatt und schob es ihr zu.
Sie erhob sich. »Du behältst das alles für dich, nicht wahr?«
»Was für eine Frage«, sagte Otto Lobkowitz.
»Jetzt regen Sie sich doch ab«, hatte die knochige Blonde in der Krankenstation zu Tennhaff gesagt. »Ich habe ihr eine Spritze gegeben. Warten Sie doch erst mal ab, bis die wirkt.«
»Sehen Sie sich ihre Hand an. Und die Lippenfärbung. Sehen Sie nicht, daß das eine richtige Lähmungserscheinung ist? Hören Sie, ich hab' solche Zustände schon bei anderen gesehen.«
»Warten Sie doch ab.«
»Und wenn das Ihre Tochter wäre …«
»Ich hab' keine … Außerdem, Sie wissen, Herr Tennhaff, daß das nur der Chef entscheiden kann.«
Das wußte Robert. Aber er wußte auch: Du mußt etwas unternehmen. Sofort. Das war das eine. Und das zweite: Wie wirst du mit deiner Wut fertig? Tennhaff war auf hundertachtzig. Daß Reto in dieser verdammten Nacht wegen irgendeines GW-Auftrags nach Stuttgart mußte und daher die beiden Neuen allein gelassen hatte, konnte man noch durchgehen lassen. Aber daß die Kleine hier bei diesen sonderbaren spastischen Zuständen ohne jede vernünftige medizinische Versorgung in der Krankenstation lag, das war einfach zuviel.
Im Vorraum saß die kleine Folkert. Sie hockte da, vornübergekrümmt, die Schläfen zwischen den Fäusten, und blickte Tennhaff angstvoll an: »Geht es ihr besser?«
»Aber klar, Kati.« Er lächelte und berührte flüchtig ihr Haar.
Nichts war klar. Doch er würde dafür sorgen, daß sich das änderte.
Er verließ den Anbau des Verwaltungsgebäudes, in dem sich die Station befand, und ging hinüber zum Schloß. In der Auffahrt standen etwa zwei Dutzend Autos, und das waren nicht die üblichen Golfs und Fiestas der GW-Angehörigen, das waren dicke, teure Schlitten, bei deren Anblick Tennhaff einfiel, daß heute ein FGW-Tag stattfand, die Gelegenheit für die ›Freunde und Förderer‹, dem großen Vater zu lauschen, dessen Bild und Stimme via Satellit aus Cedar-City, Texas, auf die große Leinwand im Konferenzraum übertragen wurde. Damit hatte Tennhaff nicht gerechnet. Der verdammte FGW-Zirkus machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Vermutlich würde auch Marc Berg beschäftigt sein. Schließlich handelte es sich bei den Freunden und Förderern nicht um irgendwelche jungen Leute, Studenten oder harmlose idealistische Mitläufer. Das waren Bonzen aus Politik und Wirtschaft und von der Sorte, die nicht nur den Fluß der Spendengelder garantierte, die standen auch mit ihrem Einfluß hinter der Organisation.
Tennhaff ging durch das Portal.
In der Halle waren die bei solchen Gelegenheiten üblichen Hinweisschilder zwischen Lorbeerbäumchen aufgebaut. Er wandte sich nach links zum Südflügel, wo sich der Konferenzraum befand, und vernahm sofort den eindringlichen, weich schwingenden Bariton von Arjun Williams, durch die Türen zwar gedämpft, aber laut genug, daß man ihn verstehen konnte. Die Sätze kamen klar und wie gestanzt, waren einfach und überzeugend, ohne den üblichen überzogenen Schmus, der Tennhaff auf Schönberg auf die Nerven ging.
Wie immer sprach Arjun Williams englisch, und Tennhaff stellte sich vor, wie sie dort drinnen, umhuscht von den ›Schwestern‹ des Services in ihren bodenlangen weißen Jungfrauengewändern, voller Bewunderung auf die Leinwand starrten.
»Ändern? Was wollen wir ändern? Nichts … Wir erfüllen ein Gesetz. Wir schwimmen im Gnadenstrom Gottes. Das Leben, das uns übergeben wurde, in all seinen Strukturen zu erhalten, aber es auch zu neuen Höhen zu führen, das ist das Ziel aller großen Religionen dieser Welt. Und mit ihnen befinden wir uns in einer Gemeinschaft, die keine Grenzen kennt. Leben ist Liebe, dies, meine Schwestern und Brüder, ist das Schlüsselgeheimnis der Evolution …«
Leben ist Liebe? Na prima! Tennhaff rannte weiter. Warum, verdammt noch mal, laßt ihr dann ein zwanzigjähriges Mädchen in seinem Elend allein und riskiert auch noch, daß es krepiert? …
Er öffnete die Tür des Sekretariats. Hilde Grammhuber, die Tagungssekretärin, saß am Computer.
»Sagen Sie, Hilde, ist der Chef drinnen? Kann man ihn irgendwie erreichen? Ich habe eine dringende Frage an ihn.« Sie schüttelte den Kopf. »Marc ist nicht im Haus.«
»Wo dann?«
»Drüben. Bei sich. Der Vater schreibt.«
Es klang, als hätte sie eine Verbotstafel aus
Weitere Kostenlose Bücher