Der Herr der zerstörten Seelen
über den Schreibtisch. »Sie gestatten doch, Herr Professor?« Er griff nach der Pistole und versenkte sie in der Innentasche seiner Lederjacke.
»Tommi … Was soll das denn?« rief Do.
Doch die Tür fiel schon hinter ihm zu.
Drei Minuten, schätzte Tommi Reinecke. Länger hat das von Jans Zimmer bis hier runter in die Halle nicht gedauert. Er spürte die Waffe in seiner Tasche und rannte an den wenigen Menschen vorbei, die am Eingang des Klinikums standen. Hoffentlich war das Ding überhaupt geladen … Eindruck schinden ließ sich in jedem Fall damit. Tommi war versucht, über den Grünstreifen zu laufen, doch er bezwang sich. Nur nicht auffallen. Auch nicht schneller gehen.
Er hatte den grauen Transporter jetzt genau vor sich. Mehr als dreißig Meter waren das nicht. Die Kamera? Verdammter Mist, er hatte sie im Auto. Damit könntest du ein Porträt schießen. Doch die Autonummer ist jetzt wenigstens deutlich zu lesen.
Tommi versuchte, sie sich bei den nächsten Schritten einzuprägen.
Den Fahrer konnte er nun erkennen. Keine Dreißig, dunkle Haare, tiefer Haaransatz, ziemlich abstehende Ohren, ein dreieckiges Kinn … Ein ›Gesicht mit südlichem Zuschnitt‹ nennt man so etwas. Und nun? Die Tür aufreißen, nett sein, freundlich … »Entschuldigen Sie bitte, fuhren sie vorhin vielleicht über die Autobahn von Starnberg nach München?« – Ja, von wegen! Und wenn der Drecksack zickig wird, zeigst du ihm die Beretta!
Tommis Anspannung wuchs. Er machte einen Schritt zur Seite, um einem Gully auszuweichen, und ausgerechnet jetzt rutschten die Gummisohlen seiner Schuhe auf den feuchten Buchenblättern aus, die die Fahrbahn verklebten.
Im selben Moment hörte er den Motor aufheulen. Da kam der Wagen, schoß förmlich nach vorne! Hätte Tommi sich nicht in blitzschneller, instinktiver Reaktion mit einem Satz nach rechts geworfen, wäre es wohl zu spät gewesen.
»Tommi, Tommi!«
Er hörte seinen Namen, während seine Schulter auf dem Parkplatzbelag aufprallte. Das war Jan Schneiders Stimme, und Jan, dieser Idiot, mußte das Schwein hinter dem Steuer aufmerksam gemacht haben.
Tommi rappelte sich hoch, klopfte sich nasse Blätter und Dreck von den Jeans und starrte Jan wütend entgegen, der mit wehendem Mantel auf ihn zulief.
»Mensch, Tommi!«
»Hast du 'nen Bleistift und Papier?«
Jan griff in die Tasche und gab ihm einen Rezeptblock und seinen goldenen Drehbleistift. Tommi schrieb sich das polizeiliche Erkennungszeichen auf, riß das Blatt ab und steckte es in die Tasche.
»Ich hab' noch gesehen, wie der abgeprescht ist«, keuchte Jan. »Wie ein Wahnsinniger.«
Ja, wie ein Wahnsinniger! Aber was mußte dieser Professor für Gefäßchirurgie auch durch die Gegend rennen und den Wahnsinnigen alarmieren?
»Ich hätte ihn …« fing Tommi an und unterbrach sich: »Moment mal! Hast du gehört, wann er den Motor angelassen hat?«
»Wieso?«
»Wieso, wieso? – Ich frage, ob du es gehört hast.«
»Als ich noch in der Halle war, lief der Motor schon. Das hörte ich. Ja, und dann gab er Vollgas. Ich dachte, der fährt dich glatt um …«
»Hätte er wahrscheinlich auch. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.«
»Ach nein?«
»Kapier doch, Jan: Wenn du es nicht warst, der ihn auf mich aufmerksam gemacht hat, heißt das, daß er mich bereits erkannt hat, als ich auf ihn zuging. Die kennen jeden von uns. Die haben Fotos von uns allen. Ich hab' mich nämlich ganz gemütlich und harmlos aufgeführt. Aber er wußte genau, wer da kommt. Diese Typen kennen wirklich keine Rücksicht. Sie sind zu allem fähig. Und wie es aussieht, haben sie es nicht nur auf Do, sondern auch auf mich abgesehen.«
Jan Schneider zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Und jetzt?«
»Und jetzt und jetzt … Jetzt werde ich die Nummer an die Registrierstelle durchgeben. Und dann werde ich erfahren, daß sie gefälscht oder der Wagen geklaut ist. Das ist das eine. Das andere: Wir müssen Do aus dem Klinikum schaffen, und zwar irgendwohin, wo keiner an sie rankommt. Nach Starnberg darf sie auf keinen Fall zurück. Wir brauchen also irgendeine Wohnung. Meinst du, du kannst so was besorgen?«
Jan Schneider nickte. »Ich hab' das auch schon gedacht. In der Personalstelle haben wir einen Mann, der sich um so etwas kümmert. Wir haben ständig irgendwelche Ärzte, MTAs oder Schwestern, die kurzfristig eine Unterkunft brauchen, weil sie zur Schulung kommen oder Vertretungen übernehmen. Die werden dann dort untergebracht. Ja, eine
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