Der Herr des Traumreichs
»Vielleicht nur deshalb, weil er schon so lange da unten ist…«
»Das ist es nicht allein«, unterbrach ihn Garth. »Maximilian meinte, er sei ein Wechselbalg und habe keinen Anspruch auf den Thron.«
»Was?« Vorstus schnellte förmlich aus seinem Sessel hoch.
»Könnte das wahr sein?« fragte Ravenna. Sie war bei Vorstus’ heftigem Aufschrecken nicht einmal zusammengezuckt.
Die Hände des Mönchs zitterten. »Ein Wechselbalg? Ich weiß es nicht. Du meine Güte, das wäre schrecklich…
schrecklich. Laßt mich überlegen… seine Eltern waren nicht mehr jung, als er geboren wurde. Manch einer dachte, seine Mutter habe das fruchtbare Alter längst hinter sich, als sie Maximilian zur Welt brachte. Ein Wechselbalg?« Vorstus war so bleich geworden, daß Garth fürchtete, er könnte die Besinnung verlieren. »Wollte sie etwa um jeden Preis einen Erben hervorbringen und täuschte eine Geburt vor – oder war das Kind tot und wurde mit einem gesunden Säugling vertauscht?«
»Hättet Ihr das nicht bemerkt, als man Euch den Knaben zeigte?« fragte Garth.
Vorstus schüttelte den Kopf. »Nein. Das Mal kann mit der Tinte in jeden Arm geritzt werden, es braucht nicht der Arm eines Persimius zu sein.«
Garth und Ravenna wechselten einen besorgten Blick. Der Manteceros hatte sich ganz ähnlich geäußert.
Vorstus bemerkte es nicht. »Man brachte uns das Kind… und wir zeichneten es. Niemand dachte, daß… daß die Königin…«
Die Stimme versagte ihm.
Garth kämpfte seine Zweifel nieder. »Nun«, sagte er, »ich glaube, daß der Mann, der unter dem Hangenden schuftet, der wahre König ist. Könnt Ihr das mit Euren ›Künsten‹ nicht feststellen, Vorstus?«
Wieder schüttelte der Mönch den Kopf. Sein Blick flackerte unruhig. »Nein. Nur mit der Prüfung des Manteceros läßt sich aus zwei gegnerischen Anwärtern der wahre König herausfinden.«
»Wißt Ihr, worin die Prüfung besteht?«
»Nein, Ravenna. Sie wurde noch niemals durchgeführt.«
Garth berichtete Vorstus noch rasch von dem Rätsel, das ihnen der Manteceros gestellt hatte. »Vorstus, versteht Ihr, was damit gemeint ist?«
Die Augen des Mönchs waren nur noch schmale Schlitze, sein Blick wirkte unergründlich. »Vielleicht. Die Frage ist, ob auch Maximilian es weiß. Wenn ja, dann wird der Persimius-Orden seinen Anspruch auf den Thron unterstützen. Es wäre kein eindeutiger Beweis für seine Herkunft, aber immerhin ein Zeichen dafür, daß er der Mann ist, der einst Kronprinz war.«
»Vorstus.« Nun beugte Garth sich vor. »Wollt Ihr uns helfen, Maximilian zu befreien?«
»Gewiß doch, Garth. Nur dazu bin ich doch nach Narbon und zu Euch gekommen.«
Cavor
Garth hatte hart zu kämpfen, bis seine Eltern ihm erlaubten, in die Adern zurückzukehren. »Denk nur daran, wie es dir vergangenes Jahr erging, Garth«, meinte Nona mit einem besorgten Blick zu Joseph. »Ich finde, du solltest diesen Ort nicht noch einmal betreten.«
»Ich muß deiner Mutter recht geben«, erklärte Joseph entschieden. »Seit du in diesem Bergwerk warst, bist du mir zu ernst geworden. Zu sehr in dich gekehrt. Hör auf deine Eltern, Garth! Du bist doch noch jung! Genieß das Leben, solange du kannst!«
»In zwei Monden feiere ich meinen siebzehnten Geburtstag«, gab Garth zu bedenken. »Und ich bin in meiner Ausbildung weit fortgeschritten. Du kannst nicht bestreiten, daß ich ein guter Schüler bin, Vater. Ich bitte dich, nimm mich mit.«
»Wenn du erst einmal zwanzig Jahre Erfahrung mit den Adern hast, bist du nicht mehr so erpicht darauf«, murmelte Joseph, aber Garth spürte, daß sein Widerstand bröckelte.
Das sah auch Nona. »Joseph!«
»Liebes, er hat recht. Er ist alt genug, um selbst zu entscheiden – und ich kann nicht bestreiten, daß ich ihn vergangenes Jahr gern bei mir hatte. Dank ihm wurde das Grauen erträglicher.«
Joseph sah sich seinen Sohn genauer an. Garth war im vergangenen Jahr noch eine weitere Handbreite gewachsen, aber er war auch kräftiger geworden und wirkte fast schon wie ein richtiger Mann. Der kurze Haarschnitt machte ihn um einige Jahre älter, und irgendwann im Lauf der letzten Monde waren seine braunen Augen wacher und schärfer geworden.
Joseph schaute zu Boden, er konnte Garths flehentlichen Blick nicht mehr ertragen.
»Nun gut, meinetwegen, komm mit. Übrigens« – er lächelte, um die trübe Stimmung in der Küche etwas aufzuhellen –
»wurde ich auch diesmal zu einem Besuch bei König Cavor aufgefordert. Ein Tag
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