Der Herr des Traumreichs
Möglichkeit zu geben, den Thron zu fordern.« Sie hielt inne, ihre Zähne blitzten auf. »Aber wer sagt, daß wir – oder zumindest einige von uns – nicht ins Reich der Träume gehen und den Pavillon dort aufsuchen können?«
Nun hatte Garth endgültig genug. »Was im Namen aller Götter ist eigentlich dieser verdammte Pavillon?« rief er.
»Du heißt also Jack?« fragte Cavor freundlich und schritt, die Hände hinter dem Rücken, um den Mann herum.
Jack nickte. »Ja, Sire.« Er spannte alle Muskeln an und stand stramm. Ein dünner Schweißfilm lag auf seinem Gesicht und seinen Schultern.
»Und weißt du von diesem Sträflingsausbruch, Wärter Jack?«
Cavors Stimme blieb einschmeichelnd, und obwohl es ihn viel Mühe kostete, ließ er sich seine Verachtung für den schmutzigen, schwitzenden Menschen nicht anmerken. Doch dieser Jack roch so durchdringend nach den Adern, daß Cavor sich kurz abwenden mußte.
»Ich erinnere mich nur, wie Adelm – der Wärter für die Kolonne von Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig –
durch den Tunnel gerannt kommt und etwas von einem Ausbruch schreit.«
»Aber gesehen hast du nichts?« Cavor hatte seinen Abscheu erfolgreich zurückgedrängt und wandte sich dem Mann wieder zu.
»Nein, Sire.«
Doch aus seiner Stimme klang eine leichte Unsicherheit.
Cavor gestattete sich ein raubtierhaftes Lächeln. »Nichts, Wärter Jack? Gar nichts?«
Egalion, der mit zwei seiner Untergebenen etwas abseits stand, warf einen kurzen Blick auf das Gesicht seines Königs.
Dann huschten seine Augen zu dem armen Teufel zurück, auf den sich jetzt Cavors gesammelte Aufmerksamkeit richtete.
»Eigentlich nicht, Sire. Nur eine Kleinigkeit. Ist sicher nicht von Bedeutung.«
»Du wagst es, MIR sagen zu wollen, was von Bedeutung ist und was nicht?« Cavor hatte unvermittelt zu schreien begonnen. Jack verlor vor Schreck das Gleichgewicht und wurde totenblaß. Der König packte den Mann am Schulterriemen seines Harnischs und zerrte ihn zu sich heran, bis ihre Gesichter nur noch eine Fingerspanne voneinander entfernt waren. »Woran erinnerst du dich?« zischte er, und die leisen Worte wirkten viel bedrohlicher als das wütende Gebrüll.
Jack öffnete den Mund und bewegte die Lippen, aber er brachte keinen Ton heraus. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt… vor Angst und weil er wußte, wie man mit den beiden Wärtern umgesprungen war, die bei der Kolonne von Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig Dienst getan hatten.
»An diesem Tag war alles wie im Nebel«, stammelte er endlich mit krächzender Stimme. »Ich kann mich an keine Einzelheiten erinnern…
Cavor knurrte und packte ihn noch fester.
»Es war wie im Traum… ich erinnere mich… erinnere mich…«
»Woran?« zischte Cavor und packte Jacks Gesicht mit der freien Hand wie mit einem Schraubstock.
Jack zitterte jetzt an allen Gliedern. »Ein Lied, Sire! Ein Lied… es verfolgt mich noch immer in meinen Träumen!«
»Es wird dich bis in den Tod verfolgen, wenn du mir nicht sofort sagst, wie es heißt!« knirschte Cavor.
Jack sah seinen Herrn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ein Schritt, ein Sprung, o Liebster mein«, flüsterte er. »Ein Schritt, ein Sprung ins Herze mein.«
Cavor mußte sich eisern beherrschen, um seine hilflose Wut nicht laut hinauszuschreien. Gab es denn nur Schwachköpfe in seinem Reich? Er packte den armen Jack noch fester. »Und jetzt wirst du mir von den Baxtors erzählen. Von Vater und Sohn. Alles, woran du dich erinnerst. Alles!«
»Die grünschatt’ge Laube«, flüsterte Maximilian. Er hatte sich aufgerichtet. Alle starrten ihn an. »Die grünschatt’ge Laube ist der Pavillon. Bitte…« Er tastete nach Ravennas Hand, und sie überließ sie ihm. »Bitte, Ravenna, könnt Ihr mir helfen?«
Vorstus war über Ravennas wie über Maximilians Worte tief betroffen, aber er raffte sich doch zu einer Erklärung auf. »Der Pavillon ist tatsächlich die Laube aus dem Gedicht des Manteceros«, flüsterte er Garth zu. »Maximilian kann sich wohl kaum an den Tag erinnern, an dem er gezeichnet wurde, aber als königlicher Erbe weiß er, daß dies der Ort ist, den er aufsuchen muß, um seinen Thron zu fordern.«
Für Garth war das alles nur schwer zu verstehen. »Und wenn ihn Ravenna nun mit in ihre Traumwelt nimmt, kann er dann auch dort seinen Anspruch vorbringen?«
Vorstus schüttelte den Kopf. »Nein. Maximilian muß den Pavillon hierherholen. Aber vielleicht läßt sich dort sein Mal wieder zum
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