Der Herr des Traumreichs
Augen waren trüb vor Schmerz. »Helft mir, Garth«, flüsterte er. »Setzt diesen verdammten Manteceros frei, er peinigt mich so sehr.«
Garth fuhr zurück, als er die Qual in Maximilians Stimme hörte. Cavors verwüstetes Gesicht, sein gehetzter Blick kamen ihm in den Sinn. Bevor Ravenna sie hierher versetzte, hatte ihn Joseph beiseite genommen und ihm rasch noch einige Anweisungen zugeflüstert. Sicherer fühlte Garth sich damit nicht. Er hatte noch nie einem Lebewesen ins Fleisch geschnitten – eine Wunde zu schaffen, anstatt sie zu heilen, verstieß gegen alles, was man ihm bisher beigebracht hatte.
Aber es mußte sein.
Er holte tief Atem und griff nach der Tasche mit den Instrumenten, die ihm sein Vater mitgegeben hatte.
»Ravenna«, sagte er leise, ohne den Blick von Maximilians Gesicht zu wenden, »nimm seine Hände. Du mußt ihn halten.«
Sie nickte und umschloß Maximilians Hände fest mit ihren eigenen.
Der Oberkörper des Prinzen war bereits entblößt. Garth schlug das Laken zurück, um besser an den Arm heranzukommen. Mit bebenden Fingern strich er über die Narbenwülste, die Maximilians rechten Oberarm so großflächig bedeckten, um darunter die Umrisse des Manteceros zu ertasten. Er suchte mit der ganzen Kraft seiner
›Hände‹, doch anders als beim ersten Mal, als er den Mann unten in den Adern berührt hatte, spürte er nichts als heißes, entzündetes, derbes Narbengewebe. Das Mal war tief, sehr tief darunter begraben.
»Maximilian«, sagte er sehr leise, »ich muß das vernarbte Fleisch wegschneiden. Das wird sehr weh tun.« Er zögerte.
»Es tut mir leid.«
Maximilians blasses Gesicht war noch bleicher geworden, doch er nickte kurz. Dann drehte er den Kopf zur Seite und drückte das Gesicht in die Falten von Ravennas Kleid.
Garth versuchte, das Zittern zu beherrschen, indem er kurz die Fäuste ballte. Wie sollte er das nur durchstehen? Endlich raffte er sich auf, holte Verbandmull und ein Fläschchen mit keimtötender Essenz aus der Tasche und wusch die Narbe damit gründlich ab. Mit einem tiefen Atemzug stimmte er sich auf die bevorstehende Aufgabe ein und beschwor die Kraft seiner ›Hände‹, dann griff er in den Beutel und brachte ein blitzendes Skalpell zum Vorschein.
Selbst in diesem trüben Licht funkelte es bedrohlich.
Garth biß die Zähne so fest zusammen, daß die Kiefermuskeln hervortraten, und setzte die Klinge am unteren Rand des Narbengewebes an.
Kaum hatten Egalion und seine beiden Soldaten den ohnmächtigen Jack hinausgeschleppt und die Tür hinter sich zugeschlagen, als ein stechender Schmerz durch Cavors Arm zuckte.
Entsetzt riß er Mund und Augen auf, aber er konnte nicht einmal schreien. Hilflos glitt er vom Stuhl und fiel, wild um sich schlagend und seinen Arm umklammernd, zu Boden. Nur ein klägliches Wimmern drang aus seiner Kehle, so leise, daß die Wachen draußen es nicht hören konnten.
Als die Klinge Maximilians Arm berührte, erfaßte ein heftiger Krampf seinen ganzen Körper, und er stieß einen Schrei aus.
Ravennas Augen weiteten sich, und sie schrie ebenfalls auf.
Garth erschrak darüber so sehr, daß ihm das Skalpell aus der Hand glitt.
Es fiel mit leisem Klatschen in das Wasser, das sanft seine Füße umspülte.
Garth bückte sich. Das Zittern drohte übermächtig zu werden.
Er verfluchte seine Ungeschicklichkeit. Was immer das für ein Medium sein mochte, es würde das Metall verunreinigen, und er mußte es erst wieder säubern. Ihr Götter, wenn nur schon alles überstanden wäre!
Wenn nur sein Vater hier wäre, um ihm diese Aufgabe abzunehmen!
Blind tastete er vor seinen Füßen im Wasser herum – es war doch nicht mehr als einen Finger tief! Doch so aufgeregt er auch suchte, er fand nichts. Der Prinz war verstummt. Garth sah über ihn hinweg Ravenna an. »Was wirst du jetzt tun?«
fragte sie ruhig. Garth entdeckte keinen Vorwurf in ihrem Blick.
Er suchte noch eine Weile weiter, dann richtete er sich auf.
Das Herz lag ihm wie ein Eisklumpen in der Brust. »Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Ich habe kein zweites Messer.«
Zu seiner Verwunderung atmete Ravenna auf. »Du brauchst nur zu glauben«, sagte sie. »An dich selbst und an den Mann, der zwischen uns liegt. Glaube.«
»Ich soll glauben?« flüsterte Garth verblüfft.
»Glauben«, bestätigte sie sanft, beugte sich über Maximilian hinweg und drückte Garth einen Kuß auf die Wange. »Ich glaube an dich, Maximilian glaubt an dich, und du mußt vor allem anderen an
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