Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
während der Heimsuchung Londons durch den »Schwarzen Tod« 1665 voll Unbehagen auf, dass die entsetzliche Krankheit sowohl fromme Menschen befiel, die beteten und ihren Glauben bewahrten, wie auch andere, die das nicht taten. Damit war er einer Erkenntnis schon gefährlich nahe. Während ich dieses Kapitel schreibe, tobt in meiner Heimatstadt Washington, D. C., ein Streit: Die humanen Papillomaviren (HPV), die, wie man seit Langem weiß, durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, lösen eine Infektion aus, die bei Frauen im schlimmsten Fall zu Gebärmutterkrebs führen kann. Deshalb wurde ein Serum entwickelt – die Entwicklung von Impfstoffen kommt heute in Riesenschritten voran –, das die Krankheit zwar nicht heilt, die Frauen jedoch dagegen immun macht. Allerdings gibt es in der Regierung Kräfte, die eine solche Maßnahme ablehnen, weil sie sich nicht gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr richtet. Die Ausbreitung des Gebärmutterkrebses im Namen Gottes zu akzeptieren ist moralisch und intellektuell aber nichts anderes, als die Frauen auf einem Steinaltar zu opfern und der Gottheit für unser sexuelles Verlangen zu danken, um es sodann zu verfluchen.
Wir wissen nicht, wie viele Menschen in Afrika am Aids-Virus gestorben sind oder noch sterben werden. Das Virus wurde in einer Meisterleistung der Humanforschung schon bald nach seinem ersten tödlichen Auftreten isoliert und kann mittlerweile bekämpft werden. Andererseits wissen wir, dass der Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau, mancherorts ein beliebtes »Heilmittel«, die Infektion weder verhindert noch heilt. Und wir wissen überdies, dass der Kondomgebrauch als Prophylaxe zumindest dazu beitragen kann, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Wir haben es hier nicht, wie die Missionare früher glaubten, mit Medizinmännern und Wilden zu tun, die sich gegen ihre Wohltaten zur Wehr setzen. Sondern mit der Regierung Bush, die sich in unserer angeblich säkularen Republik des 21. Jahrhunderts weigert, ihr Entwicklungshilfebudget mit Wohltätigkeitseinrichtungen und Kliniken zu teilen, die Menschen bei der Familienplanung beraten. Mindestens zwei große etablierte Religionen mit mehreren Millionen Anhängern in Afrika halten die Aids-Behandlung für schlimmer als die Krankheit selbst. Darüber hinaus hängen sie dem Glauben an, die Seuche sei eine Strafe des Himmels für abweichende Sexualpraktiken, insbesondere die Homosexualität. Diesen primitiven Schwachsinn wischt Ockhams Rasiermesser mit einem Streich vom Tisch: Homosexuelle Frauen infizieren sich nicht mit Aids (es sei denn, sie haben das Pech, es über eine Transfusion oder Nadel verabreicht zu bekommen), und mehr noch: Sie bekommen auch alle anderen Geschlechtskrankheiten seltener als sogar Heterosexuelle. Und trotzdem weigern sich die geistlichen Führer hartnäckig, auch nur die Existenz des Lesbentums einzugestehen. Womit sie einmal mehr dokumentieren, dass die Religion eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Volksgesundheit darstellt. Eine hypothetische Frage: Ich werde dabei erwischt, wie ich, ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, einem männlichen Baby am Penis lutsche. Wut und Ekel würden mir entgegenschlagen. Aber selbstverständlich habe ich eine Erklärung zur Hand: Ich bin ein Mohel und wurde bestellt, eine Beschneidung vorzunehmen. Meine Autorität beziehe ich aus einem Text des Altertums, der mir aufträgt, den Penis des kleinen Jungen in die Hand zu nehmen, die Vorhaut ringsum einzuschneiden und die rituelle Handlung zu beenden, indem ich den Penis in den Mund nehme, die Vorhaut absauge und die amputierte Haut samt einem Mundvoll Blut und Speichel ausspucke. Diese Praxis ist bei den meisten Juden nicht mehr üblich, weil sie unhygienisch ist und zudem unangenehme Assoziationen weckt, doch die chassidischen Fundamentalisten, die bis heute auf einen Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem hoffen, führen sie noch durch. Sie betrachten den primitiven Ritus des Peri'ah Metsitsah als Teil des ursprünglichen und unzertrennlichen Bundes mit Gott. Im Jahr 2005 wurde in New York bekannt, dass sich mehrere kleine Jungen bei dem von einem siebenundfünfzig Jahre alten Mohel durchgeführten Ritual mit Genitalherpes angesteckt hatten, an dem mindestens zwei Kinder starben. Unter anderen Umständen hätte sich das Gesundheitsamt durch diese Nachricht dazu veranlasst gesehen, das Ritual zu verbieten, und der Bürgermeister hätte sich öffentlich davon distanziert. In der Hauptstadt der modernen
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