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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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andere Völker hatten ihre eigenen Götter, die sie vorwiegend mit Menschenopfern besänftigten, und verfügten über Schrift- und Astronomiesysteme sowie ausgeklügelte Methoden in der Landwirtschaft und im Handel. Sie schrieben ihre Geschichte nieder und hatten einen Kalender mit 365 Tagen entwickelt, der präziser war als seine europäischen Gegenstücke. Die Maya hatten die bereits erwähnte Ziffer Null, ohne die mathematische Berechnungen kaum zu leisten sind. Es lässt tief blicken, dass das Papsttum des Mittelalters die Null als fremdartig und ketzerisch ablehnte, wahrscheinlich aufgrund ihres angeblich arabischen Ursprungs (tatsächlich kommt sie aus dem Sanskrit), vielleicht aber auch wegen der erschreckenden Möglichkeit, die sie in sich barg.
    Mittlerweile ist über die Zivilisationen Mittelamerikas einiges bekannt, doch bis vor Kurzem wussten wir nichts über die großen Städte und die Handelsnetze, die sich einst über das Amazonasbecken und weite Andenregionen erstreckten. Die ernsthafte Erforschung dieser faszinierenden Gesellschaften, die entstanden und ihre Blüte hatten, als andernorts Mose, Abraham, Jesus, Mohammed und Buddha verehrt wurden, die aber an deren Diskursen keinen Anteil hatten und die für die monotheistischen Religionen keine Rolle spielten, hat soeben erst begonnen. Fest steht, dass auch diese Menschen ihre Schöpfungsmythen und ihre Offenbarungen des göttlichen Willens hatten – was ihnen das brachte, sei dahingestellt. Doch sie litten, triumphierten und starben, ohne dass wir sie in »unsere« Gebete aufgenommen hätten. Und sie gingen in dem bitteren Bewusstsein unter, dass niemand sich so an sie erinnern würde, wie sie waren, oder auch nur, als ob sie da gewesen wären. Ihre »gelobten Länder«, Prophezeiungen, Legenden und Zeremonien hätten sich genauso gut auf einem anderen Planeten befinden können. So willkürlich verläuft in Wahrheit die Geschichte der Menschheit.
    Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass nicht nur die europäischen Eroberer diese Menschen auslöschten, sondern auch Mikroorganismen, von denen weder die Opfer noch die Invasoren etwas wussten. Egal, ob die Keime dort heimisch waren oder eingeschleppt wurden, die Wirkung war die gleiche. Auch hier wird der gigantische menschgemachte Irrtum offenbar, der unsere »Genesis« durchdringt. Wie lässt sich kurz und knapp nachweisen, dass dieses Buch von unwissenden Menschen geschrieben wurde und nicht von irgendeinem Gott? Dem Menschen wird die Herrschaft über die Fische, die Vögel, das Vieh, die Tiere des Feldes und alles Gewürm übertragen. Von Dinosauriern, Plesiosauriern oder Pterodaktylen ist dagegen nicht die Rede, weil die Autoren nichts von ihrer Existenz, geschweige denn ihrer angeblich gezielten und punktgenauen Schöpfung wussten. Auch Beuteltiere kommen nicht vor, weil Australien – nach Mesoamerika der nächste Kandidat für ein neues »Eden« – noch auf keiner bekannten Weltkarte verzeichnet war. Vor allem aber wird dem Menschen im Buch Genesis nicht die Herrschaft über die Keime und Bakterien übertragen, weil auch die Existenz dieser notwendigen, aber gefährlichen Lebewesen unbekannt war. Hätte man von ihnen gewusst und ihre Lebensweise verstanden, so wäre völlig klar gewesen, dass sie über uns herrschen und dies auch unangefochten weiter tun würden, bis man die Priester in die Wüste geschickt und der medizinischen Forschung zumindest eine Chance gegeben hätte. Bis heute ist das Ringen zwischen der Spezies Homo sapiens und der, wie Louis Pasteur sie nannte, »unsichtbaren Armee« der Mikroben nicht entschieden, doch dank der DNS-Forschung können wir das Genom unserer Todfeinde, etwa des Vogelgrippevirus, zumindest entschlüsseln und die Gemeinsamkeiten ermitteln.
    Die vielleicht schwierigste Aufgabe, der wir uns als halbwegs vernünftige Tiere mit überdimensionierten Adrenalindrüsen und einem zu klein geratenen präfrontalen Kortex stellen müssen, ist die Einschätzung unseres Gewichtes für das Ganze. Unsere Stellung im Universum ist so unvorstellbar bedeutungslos, dass wir sie mit unserer lächerlichen Ausstattung von drei Pfund Gehirnmasse nicht erschöpfend begreifen können. Nicht minder schwer fällt die Erkenntnis, dass unsere Anwesenheit auf der Erde womöglich ein Produkt des Zufalls ist. Wir mögen es zu bescheidenen Erfolgen gebracht haben: Wir verlängern unser Leben, heilen Krankheiten, haben gelernt, anderen Völkern und Tieren Respekt entgegenzubringen und von

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