Der Herr vom Rabengipfel
kennen, desto eher wirst du damit scheitern. Du bist kein Anführer. Du bist ein Narr. Du wirst meinen Platz nie einnehmen. Du bist ein Versager, Otta.«
Stolz und hoch aufgerichtet stand Rollo vor Otta, mit Messer und Schwert bewaffnet, ein tapferer Krieger. Er war in ein Bärenfell gehüllt, wie einst in seiner Jugend. Sein graues Haar war mit einem Lederriemen straff nach hinten gebunden.
Ein unbezwingbarer Held. Ja, dachte Merrik erleichtert, Taby würde bei Rollo und seinem Vater Hailad in guten Händen sein.
Otta stand einen kurzen Moment wie gelähmt vor Schreck da. Dann zog er sein Schwert und schrie: »Du elender Hund! Du hast mich überlistet, du hast mich belogen! Tötet ihn! Tötet sie alle! Die ganze Brut!«
Seine Soldaten zogen die Schwerter, waren jedoch binnen kurzem von Rollos Leuten umringt, die sich lautlos aus dem Wald angeschlichen hatten. Otta erstarrte, zu keiner Bewegung mehr fähig. Fassungslos beobachtete er den Mann, den er für geistesschwach gehalten hatte.
»Sire«, rief Merrik und trat vor. »Otta hat die Männer beauftragt, mich zu töten. Es ist mein Recht, mit ihm abzurechnen.«
Helga sprang auf die Füße und fragte leise: »Vater? Bist du es wirklich?«
»Ja Tochter. Ich bin es. Komm zu mir.«
Sie lief zu ihm und sank in seine Arme. »Du hast dich nicht verändert«, flüsterte sie an seiner Schulter. »Dein Haar ist immer noch leuchtend rot. Du hast mir gefehlt, Vater.«
»Es waren nur drei Jahre, Helga«, tröstete Hallad sie. »Ich werde alt, mein Kind. Auch du hast mir gefehlt, Tochter. Dein Onkel erzählte mir, daß du eine Art Hexe geworden bist. Du spinnst dir Schauermärchen zusammen und mischst Zaubertränke, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Dein Turmzimmer ist von den betäubenden Gerüchen deiner Geheimmixturen erfüllt. Es hat dir Spaß gemacht, die arme Laren zu verhöhnen. Hast du nicht Andeutungen gemacht, du seist die Drahtzieherin der Entführung gewesen? Du hast dich wichtig gemacht, Helga, du hast Unruhe gestiftet und die Menschen verängstigt. Darüber bin ich nicht erfreut. Es war nicht recht von dir.«
»Es tut mir leid, Vater. Aber ich langweilte mich so sehr. Und Fromm war ein gewalttätiger Grobian, er hätte mich umgebracht, wenn ich ihm nicht etwas Angst vor mir eingejagt hätte. Vor langer Zeit habe ich erkannt, daß ich Macht auf Menschen ausüben muß, um zu überleben. Deshalb die Magie.« Sie blickte zu Hallad auf. »Doch woher weißt du das alles?«
»Von deinem Onkel, von wem sonst?«
»Aber er . . .« Sie begriff, daß sie sich ein falsches Bild von dem Herzog gemacht hatte.
Rollo trat an Otta heran. »Mit dir ist es aus. Du hast uns allen geschadet, mir, Merrik und auch Hallad.«
Otta rührte sich nicht von der Stelle. Er blickte Rollo an, und sein Verstand weigerte sich nach wie vor, ihn als den Mann zu sehen, der er jetzt war. Er war keineswegs der sabbernde, alte Narr, den er noch heute morgen voller Verachtung beobachtet hatte. Otta fixierte Merrik und bemerkte den Zorn in den Augen des jungen Mannes. Merrik würde ihm kaltblütig den Bauch aufschlitzen wie einem Fisch. Und Hallad war tatsächlich am Leben. Helga schmiegte sich an die Brust des Vaters, sein Arm lag um ihre Schultern. Mit dumpfer Genugtuung registrierte Otta ihr schmutziges Kleid. Sein Tritt hatte ihr hoffentlich eine Rippe gebrochen.
Otta wollte nicht sterben. Er war ein Mann, dem eine ruhmreiche Zukunft bevorstand. Er hatte schier endlose Geduld bewiesen, obwohl seine Magenbeschwerden sich mit jedem Jahr verschlimmerten. Gleichmütig hatte er alle Schmerzen ertragen. König Karl hatte ihm zugesichert, daß seine Stunde nahte. Sein Blick erfaßte Laren. Auch sie haßte er aus tiefster Seele, obgleich sie erst gestern noch ein Kind war, dem er kaum Beachtung geschenkt hatte. Wenigstens war der kleine Balg Taby tot. Wäre sie nur nicht zurückgekommen, hätte sie nur nicht diesen Wikinger geheiratet . . .
»Ich will dir noch etwas sagen, Otta«, ergriff Rollo wieder das Wort. »Taby lebt. Merrik hat ihm das Leben gerettet. Und davor hat Laren ihn zwei Jahre mit ihrem Leben beschützt. Ja, Taby ist am Leben, und er wird Wilhelm treu und ergeben dienen. Und wenn das Schicksal es fügt, wird er eines Tages der zweite Herzog der Normandie sein. Du hast alles verloren, Otta, alles. Deine Ehrlosigkeit widert mich an. Ich werde dafür sorgen, daß du einen qualvolleren Tod erleidest als die Leiden, die du uns zugefügt hast.«
Otta begann zu
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