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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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leise über etwas, was das Kind gesagt hatte. Dann trat sie ein paar Schritte zurück und warf ihm den Ball zu.
    Erik stand auf. In dem großen Raum hing feiner, blauer Dunst, und von der Feuerstelle stieg ein wenig Rauch auf und verschwand in einer runden Öffnung im Dach. Als Kind hatte er stundenlang der dünnen Schlangenlinie nachgesehen, die so unwirklich aufstieg. Manche Dinge blieben unverändert, nur der Betrachter änderte sich. Tränen brannten in Eriks Augen, doch seit einer Woche vermochte er sie zurückzuhalten.
    Der Raum war von leisem Raunen erfüllt. Gelegentlich drang ein gedämpftes Lachen durch. Hin und wieder gab es böse Worte, wenn ein Kind gescholten wurde. Alles schien normal. Obwohl Erik die Stimmen kaum wahrnahm, empfand er sie dennoch als tröstlich. Er seufzte. Seine Eltern waren seit einem Monat tot. Er als ältester Sohn war nie wie Merrik auf Handelsfahrt gegangen. Seit er erwachsen war, hatte es nicht selten Streit zwischen ihm und seinen Eltern gegeben. Und es hatte ihn oft Mühe gekostet, seinen Willen gegen die Alten durchzusetzen. In seine Trauer mischten sich Erinnerungen an lautstarke Auseinandersetzungen. Die Eltern waren nicht mit seinen Nebenfrauen Caylis und Megot einverstanden, behandelten allerdings seinen Sohn Kenna gut, den Caylis ihm geboren hatte. Stets ergriffen sie Sarlas Partei, wenn er sich über sie ärgerte oder sie züchtigen wollte. Sein Verhältnis zu den Eltern war nicht ungetrübt. Merrik hingegen, der geliebte jüngste Sohn, der die Hälfte des Jahres auf Handelsfahrt war, durfte sich jede Freiheit herausnehmen.
    Nun war Erik Herr auf Malverne. Er mußte keine Streitigkeiten mehr mit dem Vater ausfechten, wenn er eine Neuerung einführen wollte. Jetzt hatte er das Sagen. Und niemand durfte ihm widersprechen. Sarla hatte ihm noch keinen Sohn geboren, vermutlich war sie unfruchtbar.
    Wenn er Wert auf einen rechtmäßigen Erben legte, mußte er sich von ihr trennen. Andernfalls würde er einen seiner unehelichen Söhne zum Nachfolger ernennen. Vermutlich Kenna, den hübschen achtjährigen Burschen, der Erik, als er noch ein Kind war, aufs Haar glich. Sarla würde sich nie etwas zuschulden kommen lassen, um sie mit Fug und Recht zu verstoßen. Sie war ein unscheinbares, unterwürfiges Wesen; er fand keinen Gefallen mehr an ihr. Sie lag still und kalt unter ihm und wartete, bis er mit ihr fertig war. Oft tat er ihr weh, um sie schreien zu hören, um ihr irgendeinen Ton zu entlocken, sei es aus Freude oder Schmerz.
    Es roch angebrannt. Er runzelte die Stirn. Wenn seine Mutter Wildbret zubereitete, durchzog ein wunderbarer, würziger Duft das Haus. Was erwartete er? Sarla konnte seiner Mutter nicht das Wasser reichen.
    Sarla gab Laren zwei Decken und riet ihr in ihrer sanften Art, neben der Feuerstelle zu schlafen, weil es nachts kalt wurde, die Glut aber den gemauerten Herd bis zum Morgen warm hielt. Auch Cleve reichte sie eine Decke: »Leg dich schlafen, wo es dir gefällt«, sagte sie lächelnd. Cleve blickte auf die zierliche Frauengestalt hinunter. Sah sie denn die Narben nicht, die sein Gesicht entstellten? Wie konnte sie ihn anlächeln? War sie blind? Mit einem stummen Nicken nahm er die Decke.
    »Sarla!«
    Sie hob den Kopf. Ihr Gemahl erhob sich mit finsterer Miene. Er war stets unwirsch mit ihr, ständig erregte sie sein Mißfallen. Und das konnte sie ihm nicht einmal verdenken. Sie war so anders als seine Mutter Tora, von der sie allerdings nie gescholten oder ungerecht behandelt worden war. Sie seufzte und verschloß sich innerlich. Er wollte sie in seinem Bett haben. Er wollte, daß sie seine Lust weckte und stillte. Dagegen sträubte sie sich. Allerdings war das immer noch besser, als unter ihm zu liegen, wenn er sie schwitzend stieß und dieses scheußliche Ächzen von sich gab. Was immer er begehrte, sie konnte es ihm nicht recht machen. Sie senkte den Kopf, um die vielsagenden Blicke der umsitzenden Männer nicht ertragen zu müssen.
    »Sarla«, rief Erik schneidend. »Komm sofort in meine Schlafkammer.«
    Es war immer seine Schlafkammer, und nie die gemeinsame. Seit sein Vater tot war, war er Herr auf Malverne, und er sprach gerne davon. Sie waren in die Schlafkammer seiner Eltern gezogen. Sarla war nur geduldet, weil er mit ihr vermählt war. Dennoch glaubte sie nicht, daß er sie fortschicken würde. Mit Schaudern dachte sie an ihre Kindheit auf dem Hof ihrer Eltern, der nicht weit im Norden von Vestfold lag. Sie sah ihren Vater, einen breiten

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