Der Herzberuehrer
Stellenwert einzuordnen. Nur zu sagen wusste ich darauf nichts. Nie gelernt! Also schüttelte ich einfach mit dem Kopf, in der Hoffnung einer tiefergehenden Diskussion zu meinem Zustand entgehen zu können.
Um so mehr überraschte es mich dann, dass seine Ernsthaftigkeit urplötzlich einem Lächeln wich, so, als sei ihm gerade etwas besonders Komisches eingefallen und er dann einfach nur sagte: »Weißt du eigentlich, Kleiner, dass du der Einzige in unserer Familie bist, der mich immer wieder an meine Matilda erinnert...«
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Über meine Großmutter Matilda wurde nur selten gesprochen. Nicht etwa, weil man es mied, über sie zu reden, sondern weil im Grunde bereits alles über sie gesagt worden war. So dachten wir zumindest.
Matilda, eine Schönheit aus Tolfa, lernte meinen Großvater während einer Messeveranstaltung in Ancona kennen, auf der sie Carpigiani-Eismaschinen vorführte. Irgendwann zwischen Cioccolata und Stracciatella muss es dann passiert sein: Der junge Matteo Lauro verlor sein Herz an die schöne Matilda, und die Firma Carpigiani kurz darauf eine ihrer profiliertesten Mitarbeiterinnen. Im Grunde war es ein gewagtes Unterfangen, denn Matildas Familie traute der überraschenden Spontan-Verbindung mit meinem jungen, in Liebesdingen gänzlich unbedarften Großvater, nicht recht über den Weg. Matteo wiederum sah sich in seinem Stolz verletzt, da er nicht sofort rundum akzeptiert und mit offenen Armen empfangen worden war. Der Überlieferung nach siegte schließlich, nach einem zwei Tage andauernden, heftigen Wortgefecht zwischen der Tolfaeser Sippe und dem liebestrunkenen Matteo, die Vernunft in Form der lebensklugen Matilda. Sie verstand es nämlich, mit viel Geduld, diplomatischem Geschick und einer hingebungsvollen Zuneigung zu allen Kontrahenten, eine Art Waffenstillstandsabkommen zu erreichen. Dessen Höhepunkt gipfelte schon bald in einer kleinen, aber durchaus feinen Hochzeit.
Matilda starb im Alter von nur 27 Jahren, zwei Jahre nach ihrer Eheschließung, sieben Monate nach Antonios Geburt.
Matteo fand sie im Innenhof ihres Hauses zwischen den Einkäufen liegend, mit einem ganz entspannten Gesicht, so als habe sie sich einfach nur einen Moment zum Ausruhen hingelegt.
Laut Befund des Arztes hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen, ganz einfach so, ohne erkennbaren Grund, von eben auf jetzt...
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»Da ist etwas an dir, was mich immer wieder an sie erinnern lässt...«, sinnierte Matteo weiter, und noch immer lächelte er ein wenig entrückt, während er an seinem Roten nippte.
»Und das fällt dir jetzt ein...?«, fragte ich verwirrt über die Entwicklung des Abends. »...Dann hat sie also gerne... einen getrunken...?«
»Es ist wohl eher das Rauchen...«, antwortete er milde, ohne weiter auf meine Provokation einzugehen. »...Sie rauchte leidenschaftlich gerne...«
»Rauchen zerstört die Geschmacksrezeptoren. Es ist ein Irrsinn, dass ich das mache...«, sagte ich mit dem notwendigen Sarkasmus in der Stimme und sog gierig an meiner Zigarette.
»Sie war sehr klar, deine Großmutter. Und sie zog es vor, Aufgaben und Probleme alleine zu bewältigen...«
»Und...?«
»Luca...«, versuchte Matteo es erneut, »...Manchmal ist es nicht verkehrt, sich jemandem anzuvertrauen. Du musst nicht alles im Alleingang bewältigen. Auch nicht diese Entscheidung. Das erwartet niemand von dir.«
»So wie deine Matilda...?«
Nun nickte er traurig, während er den Rest seines Roten hinunter kippte. »Der Arzt hat mir damals gesagt, dass sie Vorzeichen missachtet haben muss. Stechen in der Brust... solche Sachen...« Dann sah er mir fest in mein Auge, mit dem ich versuchte, ihn trotz des Alkohols zu fixieren.
»...Hätte sie mit jemandem darüber gesprochen, dann hätte ihr vielleicht irgendjemand gesagt; geh zum Arzt, Matilda, da stimmt was nicht. Lass dich untersuchen...«
»Es geht mir gut...«, sagte ich dünn, das Drängen in der Stimme meines Großvaters ignorierend. Und ich spürte mein Herz schlagen, in diesem Moment...
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Der kommende Morgen brachte genau das, was Matteo mir prophezeit hatte. Es ging mir hundsmiserabel.
In meinem Kopf befand sich ein fieses Nadelkissen, und wann immer ein Gedanke auf die Idee kam, sich daraufzusetzen, hieß dies - die Hölle explodierte.
Dann die Übelkeit: Mein Innenleben schien aus einer säuerlichen Pfütze zu bestehen, die jede meiner Bewegungen mit einem trägen Schwappen gegen die Magenwände quittierte.
Fabio versorgte mich umsichtig mit Aspirin,
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