Der Herzberuehrer
Vorgeschichte...« Dottore Valdena saß mir in seinem gläsernen Büro gegenüber, die Fingerspitzen aneinander gelegt und sah mich über seine Lesebrille forschend an. Er war vielleicht Mitte dreißig, tat aber deutlich älter, so als verleihe ihm das mehr Autorität. »...Sie wissen von der Vorgeschichte?«
Ich nickte. »Wenn sie die selbst zugefügten Verletzungen meinen?«
»Die meine ich«. Einen Moment betrachtete er mich fast erstaunt, dann schüttelte er verständnislos mit dem Kopf und fuhr fort. »...Unter anderem... Er hätte schon längst in ärztliche Behandlung gehört. Wenn nicht in physischer, so doch auf jeden Fall in psychischer Hinsicht.«
Ich konnte ihm in allem nur beipflichten, aber mich nervte die Art, wie er es vortrug.
»Da ihr Freund bei seiner Einlieferung nicht ansprechbar war, haben wir, nachdem wir das Ausmaß seiner Verletzungen erfasst hatten, eine Rundum-Untersuchung vorgenommen«.
»Ja?«
»Er ist doch Ihr Freund...?«
»Ein Freund, ja...«
»Er hat Sie zumindest als solchen angegeben...«
»Wie gesagt...«
»Nun, in jedem Falle brachte die Untersuchung weitere, weniger offensichtliche Verletzungen zum Vorschein«.
Wieder der Blick.
»Ja?«
»Wir führen dieses Gespräch hier, weil wir die ausdrückliche Zustimmung ihres Freundes dafür haben. Das ist Ihnen klar?", schwenkte er im Thema und schob seine randlose Lesebrille auf die Nasenspitze.
Ihres Freundes - ich nickte genervt.
»Massive anale Penetration...!"
Mehr sagte er zunächst nicht, und ich brauchte einen Moment, um mir seine Worte zu übersetzen.
»Die kann natürlich durch Hilfsmittel auch ohne weiteres selbst zugefügt worden sein...", fuhr er fort, »...aber das halte ich eher für unwarscheinlich.«
»Worauf wollen sie hinaus?«
Ich habe hier auf meiner Station einen beinahe völlig zerstörten jungen Mann liegen, eher Junge als Mann, dem in der kurzen Zeitspanne seines Lebens ungeheuerliches widerfahren sein muss, bis hin zu mehrfachem Missbrauch. Darauf will ich hinaus.«
Ich hatte diese Möglichkeit immer verdrängt, von mir gewiesen, so als wäre damit alles ungeschehen, was ich tief im Innersten jedoch wusste. Natürlich. Nun war es ausgesprochen, und es traf mich.
»Jede seiner Verletzungen, jede Einzelne, spricht für einen Mediziner eine deutliche Sprache. Und das, was sie erzählen, ist eine durch und durch traurige Geschichte«. Er lehnte sich zurück und betrachtete mich mit unverhohlener Neugier.
»Ich muss wissen...«, fuhr er schließlich fort, »...ob ich es verantworten kann, sie zu ihm zu lassen«.
Und damit war mir Dottore Valdena zum ersten Mal so etwas wie sympathisch.
·
Daniele war übel zugerichtet worden, aber er strahlte mich an, als ich sein Zimmer betrat. Sein linkes Auge war bandagiert, eine Platzwunde an der Stirn hatte man geklammert, und seine Unterlippe war auf doppelte Größe angeschwollen. Doch die eigentlichen Verletzungen, die waren nicht sofort sichtbar. Innere Gefäße waren durch Fußtritte und wiederholte Faustschläge gestaucht worden, zwei Rippen gebrochen. Vor allem aber hatten sich alte Wunden durch die Schläge wieder geöffnet, und so einen überdurchschnittlichen Blutverlust zur Folge gehabt. Das muss wohl auch der Grund gewesen sein, warum die Angreifer von ihm abgelassen hatten. Danieles Bauchdecke besaß durch die ganzen, selbst zugefügten Schnittverletzungen eine eingeschränkte Elastizität und war unter den Belastungen plötzlich aufgerissen, wie altes, sprödes Papier. Er muss laut des Arztes binnen kürzester Zeit blutgetränkt gewesen sein, so als hätte man eine Schlagader getroffen.
Eine Party ganz nach deinem Geschmack, dachte ich gehässig, als ich ihn da so liegen sah und schämte mich im selben Moment dafür.
»Wie geht es dir ...?«, fragte ich stattdessen und setzte mich betreten neben sein Bett.
»Ich weiß jetzt, wie du dich fühlst ...« Er tippte an den Augenverband und lachte freundlich, aber auch irgendwie entrückt, was durch seine Gesichtsverletzungen eigenartig maskenhafte Folgen hatte.
»Der Arzt sagt, dass das wieder in Ordnung kommt. Es ist nur äußerlich. Dein Auge ist Okay. Im Gegensatz zum Rest ...«
»Ich weiß, Dottore Valdena hat lange mit mir gesprochen. Er will mir helfen...«
Da war wieder dieses kindlich-naive, was er von Zeit zu Zeit an den Tag legte. Das war es unter anderem, was ihn für mich so unberechenbar machte, aber auch so... so interessant.
»Sie haben mir Schmerzmittel
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