Der Herzberuehrer
mehr, und das raubte ihm mehr und mehr den Verstand.
Ganz allmählich brachte ich ihn dazu, mir zumindest ein Stückweit zu Vertrauen.
Und schließlich war er tatsächlich sogar bereit dazu, mir ein Versprechen zu geben: Die Selbstverletzungen zumindest erst einmal auszusetzen, nach dem letzten Vorfall in der Via Cesare...
Nach dem Bad, da hatte ich ihn, nackt wie er war, vor den Flurspiegel gestellt und ihn aufgefordert, sich zu betrachten. Durch das Wasser waren viele der verschorften Stellen zwar aufgeweicht und abgewaschen, aber das änderte nichts an dem Bild, das sich da bot. Sein Körper war übersät mit Schnitten und Verbrennungen. Hämatome an Armen und Beinen schillerten in den intensivsten Farben und wulstiges Narbengewebe zeugte davon, dass größere Wunden nicht fachgerecht versorgt worden waren. Wahrscheinlich war ihm völlig klar, was die Folge wäre, wenn er einem Arzt seinen Körper zeigen würde.
»Du findest mich hässlich, stimmt‘s?«
Wie er da so stand, nackt, verwundet, zierlich und so unendlich hilflos, da berührte mich sein Anblick so sehr, dass ich Tränen zurückhalten musste.
»Wenn du´s genau wissen willst...«, sagte ich mit belegter Stimme, »...Ich finde dich schön. Aber das, was du mit dir machst, stößt mich ab«
»Du verstehst das nicht...«, sagte er leise, kaum hörbar.
»Da hast du verdammt Recht. Aber ich sehe, wie du dich zu Grunde richtest. Und wie du mit anderen umspringst. Das ist falsch, Daniele. Das ist so was von daneben«
Wieder dieses Staunen in seinem Blick, als er mich durch den Spiegel ansah.
»Du... findest mich... schön...?«
Das war vor vier Wochen gewesen.
An diesem Nachmittag nun, nach dem Treffen mit Jack, waren wir miteinander verabredet, um gemeinsam zu kochen. Ich hatte festgestellt, dass es wichtig war Strukturen in seinem Leben zu schaffen. Einfache Rituale. So wie kochen eben, oder Wäschewaschen.
Diese Rituale waren es wohl auch, die zur Folge hatten dass er sich mir gegenüber allmählich öffnete.
Als ich bei ihm klingelte, hatte ich die nötigen Einkäufe bereits erledigt. Eine einfache Lasagne sollte es werden, mit einem Endivien-Radiccio-Salat dazu. Daniele liebte es bitter. Logisch eigentlich.
Die Tür blieb jedoch verschlossen.
Je länger ich wartete, und je häufiger ich gegen das abblätternde Grün der Holzlaibung klopfte, desto unruhiger wurde ich. Er wusste genau, dass wir verabredet waren und er war, nach allem was ich bisher erlebt hatte, extrem zuverlässig, ja geradezu fanatisch pünktlich. Nachdem sich auch nach mehreren Minuten nichts rührte, die Türe vor mir verschlossen blieb, tat ich das, was mir als das logischste erschien - ich trat sie ein.
Die Wohnung war ein einziges Chaos. Das war das Erste, was mich empfing, und aus meiner Sorge wurde schleichende Angst. Eine Angst, die mit jedem Raum wachsen würde, den ich betrat. Da war ich sicher.
Was nun tun, war die erste Frage die ich mir stellte. Wo beginnen?
Das Horrorszenario, einen blutüberströmten Daniele vorzufinden, der bei einem seiner morbiden Exzesse einen Schritt zu weit gegangen war, verfolgte mich sowieso schon pausenlos, doch nun schien diese Vision mit einem Male real.
Der naheliegendste Ort war das Schlafzimmer. Seine dunkle Höhle, rot schimmernd, abgeschottet wie immer - leer. Ich atmete auf. Bad, Küche, Pius ehemaliges Zimmer - kein Daniele. Fehlanzeige.
Die Wohnung war verlassen.
Aber der anfänglichen Erleichterung folgte unmittelbar die Sorge, was passiert sein konnte.
Jetzt begann das Warten. Ich wartete und wartete, in der Hoffnung, dass irgendwann vielleicht doch noch die Türe aufflog, ein völlig überraschter Daniele vor mir stand, dem schlagartig klar wurde, dass er einen Termin vergeigt hatte und dass wir darüber einfach nur befreit lachen würden.
Doch im Inneren wusste ich: Daniele würde nicht durch diese Türe kommen. Er hatte unsere Verabredung nicht vergessen. Er war einfach nicht in der Lage zu kommen. So sah es aus. Er hatte diesmal keine Chance, unseren Koch-Termin einzuhalten. Weil ihm etwas zugestoßen war.
Er - sich zugestoßen war.
Nach zwei endlosen Stunden des Wartens stieg ich in meinen Spider und raste verbissen und entschlossen meinen Berg hinauf.
Es war jetzt an der Zeit, ein paar Dinge zu klären. Und ich wollte Antworten. Ich fand, ich hatte ein Recht darauf, sie zu bekommen.
Die Schonzeit für meinen Japaner war vorbei. Shiro hatte genug Zeit gehabt, sich zu erholen. Und ich würde erfahren, was
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