Der Herzberuehrer
gehüllt, auf der Terrasse, tranken noch einen Roten zusammen und feierten im Stillen den angenehmen Zustand der Zweisamkeit. Fabio hatte sich abgeseilt und verbrachte ein paar Tage bei seiner Familie. Er erwartete jeden Moment eine Zu- oder Absage von Campo-Visione, da war es für ihn praktischer, in Genova zu bleiben.
»Ich lernte ihn im Kino kennen", holte Shiro aus.
Eine Zigarette zwischen meinen Fingern glimmte freundlich ins Dunkle des sich abkühlenden Nachthimmels.
»...Ein James Bond war‘s, glaube ich. Er setzte sich einfach neben mich...«
»Aber ihr wart euch schon vorher begegnet?«
»Wir kannten uns vom Sehen. Und er wusste auch über mich Bescheid, das war ja kein Wunder. Wir gingen auf dieselbe Schule. Jeder wusste es da, durch die Sache mit Franco...«
Franco war Shiros 'Erster' gewesen, eine Begegnung, der die bittere Erkenntnis folgte, was es bedeuten konnte, anders zu ticken als die anderen.
»Aber ihr habt nie miteinander gesprochen...«
»Nein. Als er sich neben mich setzte, war eigentlich alles klar. Es war wie ein Zeichen, ein geheimes. Niemand setzte sich einfach neben mich, in dieser Zeit. Verstehst du?«
Ich verstand. Und ich bewunderte Daniele für seinen Einfallsreichtum. Ein Kino war einfach perfekt, um die Lage zu sondieren. Unverfänglich, aber mit breitem Zeitfenster. Ideal, um zu jemandem Kontakt aufzunehmen, dessen Ruf heikel war.
»Wir waren uns wirklich wichtig, weißt du. Die Zeit die wir miteinander hatten, damals, die war genial gewesen. Einfach wunderbar...«
»Ganz anders als die jetzige...«
Er verstand es wohl als Frage, denn er sah mich groß über sein Glas hinweg an und schien irritiert.
»...Natürlich ganz anders. Ist doch klar. Dieser Daniele, den du kennengelernt hast, hat nichts mit dem aus Perugia zu tun. Den gibt es nicht mehr...«
»Aber war dir das nicht von vornherein klar?«
»Sehr schnell, ja. Aber was sollte ich denn machen? Ciao, und das war‘s?«
Darauf hatte ich auch keine Antwort. Aber ich verstand nun sein Dilemma. Mir wurde klar, dass es ihm damals wirklich nicht leicht gefallen war, mich zu verlassen. Im Gegenteil...
·
Wir sprachen die kommenden Tage sehr viel über sein Leben in Perugia.
Für Shiro war es wohl ebenso ein Bedürfnis, darüber zu reden, wie es das meine war, mehr darüber zu erfahren.
Er erzählte von jener Zeitspanne, in der er begonnen hatte, sich für seinen ureigenen Weg zu entscheiden, unbeirrt, trotz der wiederkehrenden Schläge und Schikanen seines Vaters, trotz der immer wieder aufflammenden Diffamierung durch sein Umfeld.
Und Shiro, der durch seine asiatische Optik ohnehin als fremd, als Außenseiter abgestempelt wurde, fand mit einem Male Halt bei jemandem, der bei seinen Gleichaltrigen hoch angesehen war; der allseits bewundert und gemocht wurde, jemand, den man gerne als Freund bezeichnete, mit dem man sich schmücken konnte. Daniele muss zu dieser Zeit eine Strahlkraft besessen haben, die es ihm leicht gemacht hatte, nach außen zu wirken. Er war beliebt, er faszinierte, und er war begehrt. Dass es nun ausgerechnet der gemiedene Außenseiter Shiro war, dem all dies zuteil wurde, damit rechnete logischerweise niemand.
Dies lag vor allem daran, dass die beiden ein Verhalten an den Tag gelegt hatten, das ihre Beziehung schützen sollte. Sie gingen sich in der Schule bewusst aus dem Weg, ignorierten einander bei zufälligen Begegnungen und vermieden jede Andeutung einer gemeinsamen Verbindung zueinander.
Die wenigen Momente, in denen sie sich wirklich nahe sein konnten, blieben rar, was sie kostbar und bedeutungsvoll machte.
Doch half all ihre Vorsicht nichts. Ganz im Gegenteil. Ihre Diskretion wurde ihnen im Nachhinein zum Verhängnis. Hätten sie ganz bewusst damit begonnen, sich allmählich anzufreunden, so hätten sie irgendwann so etwas wie eine Normalität geschaffen, die vermutlich jeder um sie herum akzeptiert hätte. Doch ihre Inszenierung ließ ein solches Bild nicht zu.
Und deswegen scheiterte ihre Strategie.
Inflagranti erwischt zu werden, ist in den Köpfen der meisten Menschen eine hochnotpeinliche Situation. Mehr aber auch nicht.
Für Shiro und Daniele ging es weit darüber hinaus. Die Demütigungen, die folgten, hinterließen bei den beiden Narben, die bis zum heutigen Tag sichtbar geblieben sind.
Ich erinnerte mich unweigerlich an jene Szene in unserer Küche in Fano, in der meine Eltern uns fassungslos zur Rede stellten.
Sie hatten uns erwischt.
Die Situation war bei weitem
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