Der Herzberuehrer
seltener kam es dazu, dass ich meine Augenfarbe variierte. In der Regel trug ich nur noch das passende Gegenstück zu meiner verbliebenen, hellbraunen Iris, und so langsam spürte ich das auch. Es nutzte sich allmählich ab. Meine Tränenflüssigkeit griff die Glasoberfläche an, was wiederum zur Folge hatte, dass sich meine linke Augenhöhle immer häufiger entzündete.
»Ich brauche ein neues Auge«, verkündete ich daher am darauf folgenden Morgen. »Hast du Lust, mich zu begleiten?«
Meine Glasaugenschmiede, das Centro Visione, befand sich etwas außerhalb von Milano und ich hatte die Idee, dass wir den Ausflug dorthin mit einem gedehnten Klamotten-Einkauf adeln könnten. Nirgends ging das besser als in Milano. Nirgends...
Und Fabios Lächeln zeigte mir, dass ihm die Idee gefiel, dass er in der Tat Lust dazu hatte, Zeit mit mir zu verbringen und vielleicht, vielleicht würden wir...
Schon als es klopfte, war herauszuhören, dass es sich um etwas Dringendes handeln musste. Zur Gewissheit wurde es, als Adalgiso ohne weiter abzuwarten mein Zimmer betrat.
»Luca, ich glaube es ist besser, wenn du mitkommst...«, sagte er weniger besorgt als vielmehr irritiert, aber es reichte mir als Indiz, ihm zu folgen.
»Wir haben da einen Gast...«, erläuterte er mir auf der Treppe, »...der deinen Namen trägt. Hat gerade eingecheckt...«
»Meinen Namen?«
»Ja - Lauro. Matteo Lauro. Und anhand seines Auftretens, glaube ich, dass euch mehr als nur der Name verbindet.«
Ich war abrupt stehen geblieben und wies ungläubig die Treppe hinunter.
»Matteo ist da unten?«
Adalgiso nickte.
»Grauhaarig, so Mitte siebzig, unrasiert?«
Wieder ein Nicken.
»Matteo ist mein Großvater...«, klärte ich ihn entgeistert auf und war vollkommen ratlos, was ich nun tun sollte. »Er ist zu früh...«, sagte ich ohne Sinn und Logik, plötzlich ganz bei Rebeccas Hochzeit. »...Er ist doch...«
»Am besten klärst du das mit ihm selbst. Ich habe ihm die 'Drei' gegeben, er wollte unbedingt was ebenerdiges...«
»Es ist Matteo!«, rief ich aus und beschleunigte meinen Schritt, teils aus Panik, aber auch aus einer urplötzlichen Freude heraus, die sich, einer Welle gleich, in mir auszubreiten begann.
Doch beinahe schlagartig überkam mich auch Panik. Etwas war passiert? Ganz klar! Es musste etwas passiert sein, denn ohne Grund machte sich der Alte nicht auf die beschwerliche Reise.
Mutter - war der naheliegendste Gedanke, und eine fürchterliche Ahnung wurde mit einem Schlag zur Gewissheit. Sie hatte es nicht geschafft, hatte kapituliert...
»Luca, Kleiner...«
Ich muss ein völlig schräges, eigenartig verstörtes Bild abgegeben haben, wie ich um die Ecke geschossen kam, dann wie angewurzelt im Rahmen zur 'Drei' zum stehen kam, all die Fragen und Sorgen, die unbändige Freude, meine maßlose Überraschung und eine alles ummantelnde Verwirrung im Gesicht. Und wie ich dann mit hängenden Armen meinen Großvater anstarrte, der einladend seine Arme öffnete, um mich zu begrüßen. Da erst fiel mir auf, dass ich ja noch in meinem total abgeranzten, graufleckigen T-Shirt mit dem idiotischen Lemon-Soda-Aufdruck dastand, in Fabios ausrangierten Boxershorts, mit wirrem Haar und einem Atem, der übelst nach Aschenbecher roch.
».. .Matti. .. «
Wir fielen uns in die Arme, zwei verlorene Seelen, unfassbar froh über unser Wiedersehen, zutiefst verzweifelt über die viel, viel zu lange Trennung und unendlich erleichtert, in diesem Moment über Zeit und Raum gesiegt zu haben.
Matteo nahm mein Gesicht in seine Hände, wie nur er es konnte und er sah mich auf diese einzige Weise an, die ich nur von ihm, von ihm alleine kannte, die etwas mit viel Liebe, einem fest gewurzeltem Vertrauen zu tun hatte und die mir eines sagte, dass nämlich alles, wirklich alles in Ordnung war.
»Mutter...?«, fragte ich dennoch, nach einer gefühlten Ewigkeit.
»...Geht es gut. Sofern man von gut sprechen kann. Sie freut sich auf dich...«
Das war es also nicht.
»Was machst du dann hier, Matteo...«
Er lächelte ein wenig beschämt. »Um ehrlich zu sein...«, holte er schließlich aus, »...ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Die Frauen sind völlig überreizt, sie drehen durch, und mit deinem Vater... na, du weißt schon - und so...«
»Aber du hättest doch anrufen können...«
»Damit du es mir ausredest?« Ich sah in sein Gesicht und ich wusste, dass er recht damit hatte. Genauso wäre es vermutlich gelaufen.
»Betrachte mich einfach als
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