Der Herzog und seine geliebte Feindin
wurde, dann würde die Übelkeit vergehen. Jetzt schaute sie auf das Bücherregal und stellte überrascht fest, dass die Welt sich beruhigt hatte.
„Meine Eltern waren erst wenige Jahre lang verheiratet, als meine Mutter im Kindbett starb. Ich erinnere mich nicht mehr an viel von dem, was passiert ist, bevor ich fünf war, nur an die Besuche meines Vaters. Meine ersten Erinnerungen an ihn bestehen daraus, wie er mir das Schachspielen beibringt. Ich wusste, wie die Figuren bewegt werden, bevor ich das Alphabet beherrschte. Ich habe mich immer so auf seine Besuche gefreut. Und eines Tages, als ich noch ganz jung war, hat er mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wollte, wenn er auf Reisen geht.“
Minnie atmete bebend aus. Robert sagte nichts, zog sie nur fester an sich.
„Natürlich konnte ein junges Mädchen nicht allein in Begleitung seines Vaters den Kontinent bereisen – und auch nicht bei den Leuten wohnen, bei denen wir gewohnt haben. Ich hätte ein Kindermädchen gebraucht und eine Gouvernante, aber zu dem Zeitpunkt war die finanzielle Lage schon derart angespannt, dass das ausgeschlossen war. Es sei ganz einfach, sagte mein Vater. Er werde mich als Maximilian Lane vorstellen, seinen Sohn. Er fragte mich, ob es mir etwas ausmachte.“ Sie schloss die Augen. „Ich war fünf. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Er sagte, es werde ein Riesenspaß sein, und ich stimmte ihm zu.“
Das Flattern in ihrem Magen hatte nachgelassen.
„Ich glaube damals, in den ersten Jahren, habe ich überhaupt nicht begriffen, was für eine Kuriosität ich war. Ich erinnere mich daran, wie die Leute mir Schachprobleme vorgestellt haben. Manchmal habe ich sie gelöst, manchmal nicht.“ Sie zuckte die Achseln. „Als ich älter wurde, habe ich mehr davon gelöst.“
„Der eine Bericht, den ich über Maximilian Lane gelesen habe“, warf Robert ein, „sagte, er sei ruhig und ernst und einfach brillant. Du habest gegen Leute gespielt, die über jahrelange Erfahrung verfügten, und sie mühelos geschlagen. Und dann, wenn man dich dafür lobte, habest du das Spiel einfach fünfzehn Züge zurückgesetzt und ganz ernsthaft erklärt, was deine Gegner hätten tun müssen, um zu gewinnen.“
„Ja“, hauchte Minnie und schloss die Augen. „Daran erinnere ich mich. Die ganze Zeit zu gewinnen – das hatte eine höchst seltsame Wirkung auf mich. Ich dachte, ich würde immer gewinnen. Ich habe nicht begriffen, was Risiko bedeutet.“
Sie hatte auch nicht begriffen, was es bedeutete, zu verlieren.
„Den Rest musste ich mir nachher aus den Fakten zusammenreimen. Als ich zwölf Jahre alt war, steckte mein Vater bis zum Hals in Schulden. Er machte Leuten Versprechen, behauptete, er haben fabelhafte Investitionen in Russland. Um diese Behauptungen zu unterstreichen und weitere Investoren anzulocken, verwandte für die Gewinne seine begrenzten Eigenmittel. Dann zahlte er die nächste Runde Investoren mit dem Geld, das er seinen neuesten Opfern abgenommen hatte. Aber es gab keine Investitionen, und wenn er nicht rasch an Geld käme, wäre alles aufgeflogen.“
Minnie schaute nach unten. Sie hatte da schon erkannt, dass er unberechenbarer wurde und sprunghafter – im einen Moment überschwänglich glücklich, im nächsten wütend und aufbrausend.
„Ich war nicht zum ersten internationalen Schachturnier in London eingeladen, sondern mein Vater. Ein paar Tage vorher behauptete er jedoch, plötzlich krank geworden zu sein und bot an, dass ich seinen Platz einnehme. Niemand hatte Einwände.“
Sie konnte es nicht verhindern, dass immer wieder kleinere Schauer sie durchliefen.
„Er brauchte eine Menge Geld, und die Wettquoten waren zu meinen Gunsten. Daher ließ er durch einen seiner Freunde jeden Penny, den er besaß, gegen mich setzen. Und dann hat er von mir verlangt, das Spiel zu verlieren.“
Er hatte ihr nicht gesagt, warum er das wollte. An dem Tag hatten sie sich angeschrien.
„Lanes können alles“, hatte sie ihm entgegengeschleudert. Er hatte sie so seltsam angesehen, als sie das gesagt hatte. Erst später erkannte Minnie, dass er nie damit gerechnet hatte, sie könne seine Worte dazu verwenden, sich ihm zu widersetzen.
Roberts Arme waren warm und tröstend, und er atmete im gleichen Rhythmus wie sie. Die Stille im Zimmer hüllte sie ein. Es war nichts um sie herum, niemand in der Nähe. Einfach nur sie und ihre Erinnerungen.
„Als Kind ist man seltsam blind für die Fehler der Eltern. Mein Vater war mein
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