Der Herzog und seine geliebte Feindin
„Ausgerechnet Sie sollten mich nicht mit ‚Euer Gnaden‘ anreden.“
Sie drehte sich zu ihm um. Er musterte die Pflastersteine zu seinen Füßen.
„Nach dem, was die Dukes of Clermont gemeinsam Ihnen und den Ihren angetan haben“, erklärte er leise, „verdienen wir den Respekt nicht. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es mir leid tut. Es tut mir so leid, dass Oliver …“
„Es ist nicht Ihre Schuld.“
„Doch, gewiss ist es das. Mein Bruder erwartet ein Gerichtsverfahren für etwas, was ich getan habe, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie meiner nicht habhaft werden können. Wenn das nicht meine Schuld ist, weiß ich nicht, was sonst.“ Er betrachtete die Wände. „Aber ich verspreche Ihnen, ich werde nicht zulassen, dass ihm irgendetwas zustößt. Auf keinen Fall.“
Sie blieb ein paar Augenblicke länger vor ihm stehen. Er hielt den Kopf gesenkt, war sich jedes Atemzuges von ihr bewusst.
Und dann, ganz langsam, raffte sie ihre Röcke und setzte sich behutsam auf die Steinbank neben ihn. Sechs Zoll entfernt, aber trotzdem neben ihm. „Sie sind meinem Sohn ein guter Freund gewesen.“
„Ich bin sein Bruder.“ Er sah sie immer noch nicht an.
„Er hat die ganze Zeit von Ihnen gesprochen, wenn er aus der Schule heimkam. Von Ihnen und Sebastian Malheur, aber besonders von Ihnen. Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass Mr. Marshall und ich das beunruhigend fanden. Aber er erzählte nicht von einem Jungen, der wie eine jüngere Ausgabe Ihres Vaters klang. Vielmehr hörte es sich an, als seien Sie nachdenklich und ruhig, zwei Dinge, zu denen der Duke of Clermont nicht imstande war. Ich habe mir immer gewünscht, ich sei vor all den Jahren besser darauf vorbereitet gewesen. Wenn Oliver von Ihnen sprach, klangen Sie so nett, dass ich mir einen vollkommen anderen Jungen vorgestellt hatte. In das Zimmer zu kommen und Sie zu sehen, wie Sie mich anblickten – mit seinen Augen, seiner Nase und seinem Mund – ich weiß nicht, was mich überkommen hat. Ich kam erst wieder wirklich zu mir, als ich eine halbe Meile weit gegangen war.“
„Es besteht keine Notwendigkeit, es zu erklären. Ich weiß, was mein Vater getan hat. Ich an Ihrer Stelle wäre auch nicht in der Lage, mich anzusehen.“
„Oliver sagte nachher, er glaube, ich hätte Ihre Gefühle verletzt.“
Robert schüttelte den Kopf. „Meine Gefühle haben dabei keinen Raum. Ihnen wurde unrecht getan. Es ist nicht an Ihnen, den Ölzweig auszustrecken, sondern an mir, Ihnen aus dem Weg zu gehen. Es Ihnen so wenig unangenehm wie möglich zu machen.“
„Vielleicht“, sagte sie langsam, „vielleicht. Aber ich muss immer das Folgende denken.“
Der Himmel über ihnen war blau, ohne eine einzige Wolke darin. Es schien zu dieser Jahreszeit unmöglich, aber dennoch war es so. Robert legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
„Wir haben Oliver die Wahrheit über seine Herkunft erzählt, als er noch sehr jung war. Oder ich sollte besser sagen, Hugo hat das getan. Nicht alles, wissen Sie, aber eine für ein Kind verständliche Version. Es gab da einen bösen Mann. Er hat mir wehgetan. Manche Leute könnten behaupten, dieser Mann sei sein Vater, aber wir liebten ihn und daher sei das nicht wahr. Ich wollte eigentlich nichts sagen, aber Hugo hat mich vom Gegenteil überzeugt.“ Sie seufzte.
Robert versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn man Eltern hatte, die sich ernsthaft Gedanken darüber machten, was man einem Kind erzählen sollte, die sich um solche Einzelheiten kümmerten. Die ihnen versicherten, sie liebten sie.
Ich möchte später auch einmal so zu meinen Kindern sein . Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Hugo ging sehr sachlich damit um, und daher hat Oliver es gut aufgenommen. Bis er von Ihnen erfuhr. Dann bekam er Albträume.“
„Über mich?“, fragte Robert.
„Ja. Er wachte eines Nachts weinend auf und wollte einfach nicht aufhören. Als ich ihn fragte, was ihm solchen Kummer machte, sagte er, der böse Mann habe seinen Bruder, und wir müssten ihn holen.“
Robert spürte einen Kloß in der Kehle. „Ah“, gelang es ihm zu sagen.
„Ich fand es rührend, und irgendwann war es überwunden. Aber …“ Sie wandte sich um und sah ihn direkt an. „Aber jetzt ist es fast dreißig Jahre her, seit ich Ihren Vater gesehen habe. Was er mir angetan hatte, dauerte nur zehn Minuten, aber ich erinnere mich noch immer daran.“ Sie machte eine Pause, dann streckte sie eine Hand aus und tätschelte ihm
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