Der Hexenturm: Roman (German Edition)
verschaffen.«
Burghard schaute betreten zur Seite. War es so offensichtlich?, grübelte er in Gedanken. Nach einer Weile gab er trotzig zur Antwort: »Darüber muss ich mir keine Gedanken machen, denn ich werde zurück ins Kloster gehen. Und wenn du unser Gelübde kennst, dann weißt du, dass ich keusch bleiben muss.«
»Dann dürften nur Kleinkinder eurem Orden beitreten«, höhnte Johann. Burghard öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss jedoch die Lippen wieder und blieb stumm.
Endlich öffnete sich die Tür der Kammer. Feiner Seifenduft strömte aus dem kleinen Raum. Nachdem die Männer das verbrauchte Wasser gegen frisches ausgetauscht hatten, kamen sie selbst nun in den Genuss, sich den Staub vom Leib zu waschen, und die beiden Frauen warteten vor der Tür.
Anschließend saßen die vier mit feuchten Haaren am warmen Schornstein.
»Mein Magen knurrt fürchterlich«, stöhnte Franziska, »doch ich bin zu müde, um etwas zu essen.« Den anderen ging es ebenso. Die Müdigkeit siegte, und so streckten sie sich auf ihren Strohsäcken aus.
Franziska und Johann schliefen Arm in Arm ein, und auch Burghard übermannte rasch der Schlaf. Nur Katharina wälzte sich hin und her. Fragen ohne Antworten hielten sie wach, und sie drehte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Als sie sich wieder einmal gedreht hatte, umfasste ein Arm sie, und Burghard zog sie wortlos an sich. Sein leises Schnarchen verriet, dass er schnell wieder eingeschlafen war, während Katharina stocksteif auf dem Strohlager lag und sich nicht einmal traute, sich an der Nase zu kratzen. Doch kurze Zeit später war auch sie schließlich eingeschlafen.
Die Wirtsfrau vom »Nassauer Hof« hatte Clemens den Weg zum Rehmringer-Gestüt erklärt. Neugierig wollte sie wissen, was Clemens dort suche, doch er überhörte ihre Frage. Theatralisch begann sie daraufhin vom tragischen Schicksal des Melchior Rehmringer zu berichten. Doch auch das wollte Clemens nicht hören, und er verließ grußlos den Gasthof. Er wusste, dass die Leute ihre Geschichten gerne ausschmückten, doch ihn interessierten nur Tatsachen.
Wenig später stand er vor dem schmiedeeisernen Tor und betrachtete staunend das Gestüt. Mehrere Scheunen standen rechts und links des prächtigen Wohnhauses, das auf den ersten Blick herrschaftlich wirkte und den Burschen einschüchterte. Zwar war das Gestüt seiner Eltern das größte und schönste auf dem Eichsfeld, doch gegen das der Rehmringers erschien es klein und einfach. Bei näherem Betrachten konnte Clemens allerdings erkennen, dass das Rehmringer-Gestüt ungepflegt war. Seine Mutter hatte immer großen Wert auf ein ordentliches Erscheinungsbild des Anwesens gelegt, und auch seine Schwester hielt das Gestüt in Ordnung. Gestutzte Hecken, Blumenbeete, saubere Fenster und ein gekehrter Hof waren den Arnolds wichtig.
Das konnte man vom Anwesen der Rehmringers nicht behaupten. Zahlreiche Pferdemisthaufen bedeckten den Hofboden, Gerätschaften lagen herum und rosteten. Unkraut wuchs in allen Ecken, und vertrocknete Pflanzen säumten den Weg. Auch das Strohdach musste dringend ausgebessert werden. Zwar liefen Männer und Frauen zwischen den Gebäuden hin und her, doch niemand schien zu arbeiten. Sie lachten und scherzten und übersahen dabei Dreck und Arbeit. Gelangweilt führten junge Burschen Pferde von den angrenzenden Koppeln in die Ställe, wo sich ihr Gebrüll mit dem Gewieher der Rösser mischte. Fassungslos schüttelte Clemens den Kopf. Damit hatte er nicht gerechnet. Er musste sich eingestehen, dass er enttäuscht war. Clemens erinnerte sich an Melchior Rehmringers stolze Worte, wenn er von seinem Anwesen erzählte. »In wenigen Monaten wird von dem prachtvollen Gestüt nicht mehr viel übrig sein!«, murmelte Clemens niedergeschlagen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er und seine Freunde hier willkommen sein würden, und wandte sich zum Gehen, als er einen vertrauten Geruch wahrnahm. Er reckte seine Nase und schnupperte. Ein Lächeln überzog sein angespanntes Gesicht. »Eines haben beide Gehöfte gleich!«, stellte er schmunzelnd fest. Es war der Geruch, der für den Burschen Heimat bedeutete. »Es riecht wie daheim!«
Clemens hatte nicht bemerkt, dass ein junger Mann, der zwei Köpfe größer und viel breiter war als er, zu ihm vor das Hoftor getreten war. Als er sich breitbeinig vor Clemens aufbaute, befürchtete er das Schlimmste.
Finster dreinblickend fragte der Fremde ihn: »Warum stehst du hier
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