Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb
Schiff nicht von der Stelle bewegen können.«
»Wissen Sie, wieviel die LADY wiegt?« fragte Bannermann. Seine Stimme zitterte. »Es ist so gut wie unmöglich, ein Schiff dieser Größe mit nur vier Booten zu schleppen. Und die Männer werden sich weigern. Sie haben Angst, Montague!«
Andara schwieg einen Moment, aber der innere Zweikampf, der sich hinter seiner Stirn abspielte, war deutlich in seinem Gesicht zu lesen.
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, murmelte er schließlich. »Aber vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit. Lassen Sie die Boote bereit machen, Captain. Und schicken Sie Ihre Männer in die Rahen.« Er lächelte dünn. »Es kann sein, daß wir bald Wind bekommen.«
Bannermann starrte ihn verdutzt an, aber Andara gab ihm keine Gelegenheit, irgend etwas zu sagen. Er fuhr herum, eilte mit weit ausgreifenden, federnden Schritten die Treppe zum Achterdeck hinauf und blieb zwei Schritte vor der hinteren Reling stehen. Bannermann blickte ihm kopfschüttelnd nach.
»Was ist mit ihm?« flüsterte er. »Ist er verrückt geworden?«
»Das wohl am Allerwenigsten«, antwortete ich. »Sie sollten tun, was er sagt, Captain. Ich glaube, wenn uns noch jemand hier herausholen kann, dann er.«
Bannermanns Blick nach zu urteilen, begann er nun auch an meinem Verstand ernsthaft zu zweifeln. Trotzdem drehte er sich nach sekundenlangem Zögern um und begann die Matrosen mit erhobener Stimme hin und her zu scheuchen. Von einer Sekunde auf die andere breitete sich eine hektische, nervöse Aktivität auf dem Deck aus: Männer kletterten geschickt wie Affen die Masten hinauf und begannen ihre Plätze in den Rahen einzunehmen, andere liefen zu den Booten, zerrten die Schutzplanen herab und begannen die Ketten der Davids straffzuziehen, wieder andere standen scheinbar untätig herum, starrten in den Nebel und fingerten nervös an ihren Waffen. Es waren die Männer mit den Gewehren, die nicht arbeiteten, und ich begriff, daß Bannermann alle Vorbereitungen getroffen hatte, das Ungeheuer würdig zu empfangen, sollte es noch einmal angreifen. Aber irgend etwas sagte mir, daß Gewehrkugeln und Äxte nicht viel nutzen würden.
Mein Blick glitt zum Achterdeck und suchte Andara. Der Hexenmeister war wenige Schritte vor der Reling stehengeblieben und zur Reglosigkeit erstarrt. Seine Hände waren erhoben und wiesen in einer erstarrten, beinahe beschwörend wirkenden Geste in den Nebel hinaus.
»Was tut er?« flüsterte Bannermann.
Ich winkte hastig ab und sah weiter konzentriert zum Achterdeck hinauf. Andara rührte sich nicht, aber ich spürte einfach, wie irgend etwas dort oben vorging. Etwas, das nicht mit normalen menschlichen Sinnen wahrzunehmen war.
Und dann begann sich der Nebel zu bewegen.
Zuerst langsam und fast unmerklich, dann immer schneller trieben die grauen Schwaden auseinander. Die lichtschluckende Mauer, die die LADY OF THE MIST gefangen hielt, riß auf, und zum ersten Mal seit Stunden berührte das Licht der Sonne wieder das Deck. Die Kälte verschwand wie ein böser Spuk, und plötzlich spürte ich den kühlen Hauch des Windes auf der Haut.
Bannermann keuchte überrascht. Aber er reagierte so schnell, wie man es von einem guten Kapitän erwarten konnte. »Segel setzen!« brüllte er. »Steuermann – Kurs zwei Strich backbord!«
Ein tiefes, mahlendes Geräusch lief durch den Rumpf des Viermastseglers. Ich spürte, wie die LADY unter meinen Füßen wie aus einem tiefen, betäubenden Schlaf erwachte, als der Wind zunahm und sich die Segel an den Rahen strafften. Der Hauptmast ächzte hörbar unter dem Druck, der plötzlich auf ihm lastete und den er an den Schiffsrumpf weitergeben mußte. Der Nebel trieb weiter auseinander, zerfaserte zu dünnen Streifen und löste sich mit phantastischer Geschwindigkeit auf. Eine Welle schlug klatschend gegen den Rumpf und zerstob zu weißer Gischt, dann eine zweite, dritte ...
»Bannermann!« Andaras Stimme drang wie von weither in meine Gedanken. »Die Boote! Schnell! Der Wind wird nicht lange anhalten!«
Ein seltsames Gefühl von Schwäche überkam mich. Das Schiff begann vor meinen Augen zu verschwimmen, und meine Beine schienen mit einem Male nicht mehr in der Lage, das Gewicht meines Körpers zu tragen. Ich wankte, griff haltsuchend nach dem Mast, verfehlte ihn und wäre gestürzt, wenn Bannermann nicht gedankenschnell zugegriffen und mich aufgefangen hätte.
»Craven!« keuchte er. »Was ist mit Ihnen?«
Ich schüttelte schwach den Kopf, befreite mich
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