Der Hexer - NR20 - Unter dem Vulkan
mit einer knappen Handbewegung in die Kneipe, nahm die Finger endlich von seinem Säbel und zog statt dessen einen langläufigen Revolver unter seiner Uniformjacke hervor. Das Knacken, mit dem er den Hahn zurückzog, klang in der unheimlichen Stille wie ein Peitschenhieb. Wir gingen weiter, instinktiv enger zusammenrückend. Das Meer rauschte monoton gegen die Küste, und der Wind begann mit trockenen Abfällen und Fensterläden zu spielen; aber nirgendwo zeigte sich die geringste Spur von Leben. Harmfelds Männer schwärmten aus, um hier und da ein Haus zu durchsuchen, aber das Ergebnis war immer das gleiche. Der Ort war leer. Die Überlebenden – falls es welche gegeben hatte – waren verschwunden, zusammen mit den Toten. Und Harmfelds Hilfstruppe.
»Was ist hier geschehen?« flüsterte Harmfeld. Seine Stimme bebte.
Es war keine Frage, auf die er eine Antwort haben wollte, und so schwieg ich.
Wir durchquerten den Ort zur Gänze und blieben dicht vor der wuchernden grünen Mauer des Dschungels stehen. Harmfeld wich meinem Blick aus, aber ich sah, daß er immer wieder nach oben starrte, zum Gipfel des Krakatau hinauf. Der Berg spie Flammen, aber im hellen Licht der Morgensonne sah das Bild auf bedrückende Weise ästhetisch aus. Es war nichts Bedrohliches daran. Absolut nichts.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, murmelte er. »All diese Menschen. Die... die Insel hat beinahe sechshundert Einwohner, und...« Er stockte, scharrte einen Moment mit der Schuhspitze im Boden und sah plötzlich mit einem Ruck auf. »Sagen Sie mir die Wahrheit, Craven«, sagte er. Seine Stimme klang fast flehend. »Das alles ist doch nicht wahr! Das ist nur ein Trick Ihrer Freunde, damit ich keinen Widerstand leiste!«
»Leider nicht, Kapitän«, antwortete ich. »Ich fürchte, es ist so. Der Vulkan wird ausbrechen, in genau dem Moment, den Nemo Ihnen vorhergesagt hat.«
Harmfelds Augen weiteten sich ungläubig, aber irgendwie schien er zu spüren, daß ich die Wahrheit sagte. »Was sind Sie?« fragte er leise. »So eine Art Hellseher?«
»Manchmal«, antwortete ich.
Harmfeld schien noch mehr sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem Kopfschütteln und rammte seine Pistole mit einer übertrieben heftigen Bewegung in die Halfter zurück. »Ich lasse meine Männer die Stadt noch einmal durchsuchen, bevor wir zum Schiff zurückkehren«, sagte er. »Ich muß sichergehen.«
»Das wird Nemo nicht sehr freuen«, sagte ich. »Wir haben keine Zeit dafür.«
Harmfeld fuhr auf. »Wir sollen die Insel evakuieren, oder?« fauchte er. »Das heißt, Menschen zu retten. Und ich fange damit hier an.« Er ballte die Faust, beruhigte sich aber so schnell wieder, wie er aufgefahren war.
»Und Sie wollen wirklich dort hinauf?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf den Vulkan.
»Ja«, antwortete Jennifer an meiner Stelle. »Aber wir werden zurückkommen, Kapitän. Keine Sorge.«
Harmfelds Nicken wirkte nicht sehr überzeugend.
* * *
»Dieser Narr«, murmelte Howard. »Dieser verdammte, romantische Narr. Er wird sich umbringen!« Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch, so daß Tintenfaß und Kohlestifte einen wilden Tanz vollführten, zog dann einen seiner berüchtigten schwarzen Zigarillos aus der Brusttasche seines Rockes und riß ein Streichholz an.
»Du hättest ihn aufhalten können«, sagte Nemo, der auf der anderen Seite des Kartentisches Platz genommen hatte. »Warum hast du es nicht getan?«
»Aufhalten?« Howard stieß eine blaue Qualmwolke in die Luft. »Du kennst Robert nicht sehr gut, sonst hättest du das nicht gesagt«, behauptete er. »Eher hinderst du den Krakatau mit bloßen Händen daran, auszubrechen.« Wütend sog er an seiner Zigarre, daß ihr brennendes Ende fast weiß aufglühte.
Nemo hustete demonstrativ. »Was macht dich so zornig?« fragte er leise. »Die Tatsache allein, daß er gegangen ist, oder die, daß er es gegen deinen Willen getan hat?«
Howard schnaubte. »Wenn er nicht zurückkommt, war alles umsonst«, fauchte er. »Ist dir das klar? Er ist genau wie sein Vater, als der im gleichen Alter war. Immer mit dem Kopf durch die Wand. Irgendwann«, fügte er leiser hinzu, »wird er auf eine treffen, an der er sich den Schädel einrennt.«
Die Tür wurde geöffnet. Nemo, der gerade zu einer Antwort angesetzt hatte, blickte unwillig auf und legte drohend die Stirn in Falten. Der Matrose, der hereingekommen war, schob rasch die Hand vor und reichte ihm einen kleinen Zettel, auf den wenige Worte
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