Der Hexer - NR31 - Die Macht des NECRONOMICON
sehr vieler anderer damit.«
»Vielleicht«, antwortete ich, noch immer verzweifelt nach Ausfluchten und Gründen suchend, die Sitting Bulls Vorhaben unmöglich machen würden. »Es... es könnte sinnlos sein. Was, wenn... wenn es dich umbringt, ohne daß du ihm schaden kannst?«
»Das wirst du verhindern«, antwortete er.
Das Schlimme war, dachte ich entsetzt, daß er es nicht verlangte. Ich war sicher, daß Sitting Bull, Annie und Buffalo Bill mich mit Leichtigkeit überwältigen und festhalten konnten, um das Buch auch gegen meinen Willen zu vernichten. Aber sie überließen mir die Wahl. Sie stellten mich vor die grausame Alternative, das Leben von zwanzig Unschuldigen gegen das Priscyllas aufzuwiegen.
»Nun?« fragte Sitting Bull nach einer Weile.
Ich antwortete nicht, sondern drehte mich mit einem Ruck um und starrte an Annie vorbei gegen die Zeltwand. Tränen rannen über mein Gesicht, aber diesmal versuchte ich nicht einmal mehr, sie zurückzuhalten. In meiner Brust begann sich ein tiefer, unglaublich kalter Schmerz auszubreiten. Verzeih mir, Priscylla, dachte ich, immer und immer wieder. Und nach einer Weile hörte ich, wie Sitting Bull hinter mir mit monotoner Stimme uralte Beschwörungsformeln zu flüstern begann...
* * *
In einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen, und obwohl sie die Wüste binnen Minuten in einen einzigen gigantischen Backofen verwandeln würde, war es jetzt noch so kalt, daß mein Atem vor meinem Gesicht sichtbar wurde. Meine Hände zitterten, und ich mußte mich zu jedem einzelnen Schritt zwingen. Unsichtbare Zentnerlasten zerrten an meinen Beinen, und in mir war eine lautlose Stimme, die immer und immer wieder schrie, daß ich herumfahren und Priscylla mit mir nehmen solle, um zu rennen, so weit ich nur konnte.
Statt dessen ging ich weiter auf das prasselnde Feuer zu. Priscylla lag schlaff in meinen Armen, schlafend, aber mit offenen Augen. Sie kam mir sonderbar leicht vor. Das glückliche Lächeln auf ihren Zügen war eine böse Verhöhnung der Gefühle, die in mir tobten.
Wie Sitting Bull von Slaughter die Erlaubnis für eine zweite Beschwörung erlangt hatte, wird mir wohl auf immer ein Rätsel bleiben. Vielleicht hatte er ihn schlichtweg hypnotisiert – etwas, das ich dem alten Sioux, ohne weiteres zutraute. Aber gleichwie, es war alles bereit, und auch das Feuer loderte wieder so hoch wie beim ersten Mal. Slaughters Soldaten waren beinahe unsichtbare Schatten in der Dunkelheit ringsum. Alles schien wie beim ersten Mal.
Sitting Bull blieb stehen und deutete mit einer Kopfbewegung zu Boden. Behutsam ließ ich mich auf die Knie sinken, bettete Priscylla vorsichtig vor mir auf den weichen Sand und blieb einen Moment reglos so hocken. Dann richtete ich sie wieder auf, lehnte ihren Oberkörper gegen meine Hüfte und hielt sie fest. So fest ich konnte.
Ixmal begann zu summen: nicht das monotone, einlullende Lied vom ersten Mal, sondern eine düstere, aggressive Melodie, die mein Herz zum Rasen brachte. Die Dunkelheit jenseits des Feuers zog sich zusammen wie ein riesiges, körperloses Tier, das Schmerzen litt.
Sitting Bull ging mit langsamen, gemessenen Schritten um mich herum, blieb einen Moment reglos stehen und beugte sich dann zu Priscylla herab. Seine Lippen flüsterten noch immer Worte aus einer längst vergessenen Sprache. Er wirkte wie in Trance und war es vermutlich auch.
Und dann ging alles blitzschnell.
Mit einer raschen Bewegung riß Sitting Bull Priscylla das Buch aus der Hand, richtete sich auf und fuhr herum. Priscylla schrie auf, sprengte meinen Griff mit unmenschlicher Kraft und sprang in einer schlichtweg unmöglichen Bewegung auf und hinter Sitting Bull her. Sie verfehlte ihn, aber noch während sie fiel, klammerte sich ihre rechte Hand um Sitting Bulls Bein und riß es zurück. Der alte Sioux taumelte, fiel schwer auf die Seite und stieß einen keuchenden Schmerzlaut aus. Das Buch entglitt seinen Händen, schlitterte ein Stück weit auf das Feuer zu und blieb eine Handbreit davor liegen.
Priscylla kreischte immer noch wie von Sinnen. Abermals sprang sie auf, warf sich auf Sitting Bull und begann ihn mit Fäusten und Fingernägeln zu bearbeiten. Annie und ich versuchten sie zurückzureißen, aber dieses kleingewachsene, zarte Mädchen entwickelte die Kräfte einer Tobsüchtigen. Ich sah, wie Annie von einem fast beiläufigen Hieb getroffen und meterweit davongeschleudert wurde, dann traf mich selbst ein mittelgroßer Vorschlaghammer unter dem
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