Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel
zurückgekehrt war. Durch irgendeinen dummen Zufall konnte ihr Fehlen entdeckt werden, obwohl er der alleinverantwortliche Arzt für sie war und streng verboten hatte, ihr Zimmer zu betreten, solange kein Notfall vorlag.
Dann würde es einen Haufen Fragen geben, und es war zu früh, Mißtrauen auf sich zu ziehen. In zwei oder drei Wochen würde er seine Experimente abschließen können, und dann war er stark genug, das gesamte Klinikpersonal unter seinen Willen zu zwingen. Solange mußte auch sie sich noch gedulden. Noch war es zu früh, die Maske fallen zu lassen.
»Was soll denn nicht stimmen?« fragte Jackson, obwohl er die Antwort kannte.
Sie blickte ihn tadelnd an, schwieg aber.
Jackson nahm ihren tadelnden Blick unsicher zur Kenntnis. Etwas an der jungen Frau beunruhigte ihn, aber er vermochte das Gefühl nicht in Worte zu kleiden. Seit sie vor rund vier Monaten eingeliefert worden war, hatte sie eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht, und manchmal glaubte er, daß es nicht allein auf die ihr verabreichten Medikamente und Drogen zurückzuführen war. Es mußte noch etwas anderes geben, wovon er nichts wußte.
Er hatte von Anfang an erkannt, daß sie ihm für seine Experimente nützlich sein konnte. In ihr schlummerten starke mediale Kräfte, und es war ihm gelungen, sie für seine Zwecke zu nutzen.
Dennoch blieb ihm die Frau ein Rätsel. Die meiste Zeit über war ihr Verstand völlig klar – sah man von der Beeinflussung durch die Drogen ab –, doch geschah es immer wieder, daß sie in ihr bislang ungeklärtes Trauma zurückfiel und sich in dieser Zeit ganz und gar von der Umwelt abkapselte.
Gelegentlich wurde sie ihm sogar regelrecht unheimlich, so wie in diesem Augenblick. Sie sprach auf die Drogen völlig anders an als normale Menschen. Zwar gehorchte sie ihm, aber er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie es nur tat, weil sich ihre Pläne im Augenblick noch mit seinen deckten, und nicht, weil er sich ihren Geist unterworfen hatte. Insgeheim rechnete er ständig damit, daß sie irgendwann anfangen würde, eigene Pläne zu verfolgen. Doch so weit würde er es gar nicht erst kommen lassen. Noch machte er ihr Zugeständnisse wie im Fall dieses Robert Craven, den sie aus einem ihm unbekannten Grund abgrundtief haßte. Als sie in den Gewölben den Wunsch geäußert hatte, daß er Cravens Begleiterin zu ihr bringen sollte, war es eine eindeutige Forderung gewesen, keine Bitte, und fast wunderte er sich schon, daß sie so bereitwillig eingelenkt hatte. Er war sich sicher, daß sie ihren Willen hätte durchsetzen können, wenn sie es wirklich darauf angelegt hätte.
Dieser Gedanke bereitete ihm Angst. Wenn er nicht höllisch aufpaßte, konnte sie nicht nur seinen Experimenten, sondern auch ihm selbst gefährlich werden. Er hatte ein geistiges Monstrum herangezüchtet, auch wenn es sich in der Maske eines engelhaften, zerbrechlich anmutenden Mädchenkörpers verbarg.
Noch war er auf sie angewiesen, aber bald schon würde er den Umweg über ihre magische Kraft nicht mehr benötigen, um die Drogen herzustellen. Sie besaß keine Angehörigen, und wenn sich dieser Craven erst einmal in seiner Macht befand, würde niemand mehr unliebsame Fragen stellen, wenn sie eines Tages einen bedauerlichen Unfall mit tödlichem Ausgang erlitt.
»Er müßte längst hier sein, wenn alles glattgegangen wäre«, nahm Priscylla das Gespräch wieder auf. »Du hättest selbst gehen sollen, anstatt dich mit diesem Mädchen abzugeben. Diese hirnlosen Muskelprotze haben den Auftrag wahrscheinlich vermasselt.«
Ärger darüber, daß sie ihn wieder duzte, obwohl er es ihr oft genug erfolglos verboten hatte, schoß in ihm hoch, war es doch ein weiterer Hinweis, wie wenig Macht er in Wirklichkeit über sie besaß. Und die Tatsache, daß sie gar eine seiner Handlungen kritisierte, wäre noch vor weniger als einem Monat undenkbar gewesen. Für einen kurzen Moment loderte das Verlangen in ihm auf, sie in scharfer Form zurechtzuweisen, aber wieder unterdrückte er diesen Impuls und gab nach.
»Ich brauchte sie, um neues Serum herzustellen«, entgegnete er. »Außerdem ist für meine weiteren Forschungen wichtig, seine Wirkung an meinem eigenen Körper zu erproben. Die Aufzeichnungen, die Onkel Henry mir hinterließ, waren leider nur sehr...«
»Dieser Jekyll war ein Dummkopf, der Fehler machte und sich selbst nicht unter Kontrolle hatte«, unterbrach Priscylla ihn. »Du bist schon viel weiter als er. Jeff und Charles
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