Der Hexer und die Henkerstochter
stummen Burschen wirklich ins Herz geschlossen zu haben – ebenso wie sie selbst, wie sie sich einmal mehr eingestehen musste.
»Gott zum Gruß, Matthias«, sagte Magdalena freundlich. Und auch wenn sie wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde, fügte sie neckisch hinzu: »Na, was ist? Schaust nach einem schönen Rosenkranz für deine Liebste?«
Matthias stieß ein Grunzen aus und rollte mit den Augen, so als würden ihm die Weibsbilder ohnehin alle auf die Nerven gehen. Magdalena lachte laut auf, sie mochte das Mienenspiel des stummen Gesellen, das sie an die Gaukler erinnerte, die einmal im Jahr zur Kirmes ihr kleines Schongau besuchten.
»Hast du Lust, mit mir auf die Wiesen hinter dem Kloster zu gehen?«, fragte sie ihn aus einer Laune heraus. Es war noch früh am Tag, die Kinder noch nicht müde, und sie wollte weg von den vielen, nach Weihrauch stinkenden Menschen, die sie mit ihrer demütigen Gottesfurcht einschüchterten. »Komm schon, wir pflücken einen Strauß Blumen für dein Mädchen, wenn du denn eines hast.«
Matthias zögerte kurz, dann lachte er kehlig und nahm die johlenden Kinder auf seine breiten Schultern. Gemeinsam gingen sie zum kleineren Nordtor, hinter dem sie nach links zu den Blumenwiesen am Waldrand abzweigten. Die Buben grabschten nach Käfern und Libellen, die im hohen Gras umherschwirrten.
Magdalena pflückte derweil gedankenverloren ein paar Margeriten. Eigentlich sollte mir die ja der Simon schenken , dachte sie traurig, aber daraus wird ohnehin nichts.
Als sie den Kopf endlich wieder hob, sah sie nur wenige Meter entfernt eine mannshohe verwitterte Mauer aufragen. Die grob gehauenen Steine umschlossen ein kleines rechteckiges Grundstück, das direkt an den Wald grenzte; dahinter türmten sich schroffe Felsen. Der Eingang war ein rostiges, mit Efeu umranktes Gatter mit einem mächtigen Schloss. Neugierig ging Magdalena auf die Mauer zu, als sie hinter sich ein warnendes Grunzen hörte. Der stumme Matthias hatte sich ihr genähert und schüttelte warnend den Kopf.
»Ist es vielleicht verboten, dort hineinzugehen?«, fragte Magdalena neugierig. »Aber warum denn?«
Matthias überlegte eine Weile, dann riss er ein paar Kräuter heraus, roch mit genießerischer Miene daran und deutete schließlich auf das Kloster.
»Räuta von … Öööönchen …«, stammelte er.
»Das ist der Kräutergarten des Klosters?«, erkundigte sich Magdalena. »Ist es das, was du sagen willst?«
Als der stumme Geselle nickte, zuckte die Henkerstochter mit den Schultern. »Und warum sollte ich da nicht hineingehen dürfen? Nur weil die Pfaffen immer so ein Geheimnis um ihre Heilpflanzen machen? Du musst wissen, Matthias, in Schongau bin ich eine Hebamme. Wahrscheinlich verstehe ich von den Kräutern da drin mehr als alle Andechser Mönche zusammen.« Sie nahm ihre Kinder bei der Hand und führte sie hin zum Gatter. »Kommt mit, die Mama zeigt euch jetzt einen Zaubergarten.«
Matthias schüttelte wild den Kopf, doch Magdalenas Neugier war mittlerweile geweckt. Wenn dies wirklich der Kräutergarten des Klosters war, wäre es interessant zu sehen, was dort alles wuchs. Vielleicht gab es ja die eine oder andere Heilpflanze, die sie nicht kannte oder die im Wald nur schwer zu finden war.
Magdalena ignorierte die ärgerlichen Laute des Gesellen und drückte die Klinke des Gatters. Zu ihrer Freude war es nicht verschlossen und öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Schon nach wenigen Schritten umwehte sie der betörende Duft von Kamille, Salbei und Minze. Der Garten wirkte von innen weitaus größer, als es von außen den Anschein gemacht hatte. Das lag vor allem an den vielen mit Bohnen und Flaschenkürbissen bewachsenen Rankgittern, die sich entlang der Beete zogen und die Anpflanzung in ein Labyrinth verwandelten. Kleine Mäuerchen, die zum Sitzen einluden und auf denen Eidechsen in der Sonne dösten, waren mit blühendem Steinkraut bewachsen. Dazwischen breiteten sich Rabatten mit Stauden und Kräutern aus, die streng nach Sorten aufgeteilt waren. Magdalena erkannte die herkömmlichen Heilpflanzen wie Weinraute, Wermut und Fenchel, entdeckte aber auch andere, seltenere Exemplare. Sie zerrieb die aromatisch riechenden Blätter von Odermennig und Ambrosia und roch an den Blüten der Schwertlilie, die einen betörenden, alles überlagernden Duft verströmten.
Die Kinder balancierten derweil auf den kleinen Mauern und jagten die Eidechsen. Magdalena bemühte sich, sie nicht aus den
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