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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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nachdenken, welche Schmerzen sie erwarten werden. Ich komme gleich nach.«
    Die Büttel packten die Mönche unter den Armen und schleiften sie wie Mehlsäcke die Treppe empor.
    »Bitte, Euer Exzellenz!«, rief Magdalena. »Gebt uns wenigstens zwei Eurer Männer mit, um dort unten nach meinen Kindern zu suchen! Ich weiß, dass sie irgendwo dort sind!«
    »Magdalena, denk daran, was der Graf vorher gesagt hat!«, fuhr ihr Vater dazwischen. »Über uns tobt genau das Gewitter, das Virgilius in seinem Buch beschworen hat. Er hat die Hostien, er hat den Automaten. Glaub mir, er ist irgendwo dort draußen! Und wenn ich er wäre, würde ich die Kinder mitnehmen. Ein besseres Faustpfand gibt es nicht, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.«
    »Und … was ist mit meinem Mann?« Magdalena spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. »O Gott, ich weiß einfach nicht, was ich tun soll!«
    Zwei der Wachen waren in der Zwischenzeit mit dem schimpfenden Bibliothekar und dem leise betenden Prior im Gang verschwunden. Von den Übrigen sagte eine ganze Weile keiner etwas, schließlich räusperte sich der Henker.
    »Euer Ehren«, begann er, und Magdalena konnte förmlich sehen, wie schwer ihm diese Worte fielen. »Ich bitte Euch nicht wegen mir, sondern um meiner Familie willen. Schickt Eure verbliebenen Männer dort hinunter, um nach dem Rechten zu sehen. Ich selbst und meine Tochter werden mit Eurer Erlaubnis nach oben gehen, wo dieses Gewitter tobt.«
    »Kruzitürken!«, fauchte Magdalena. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht über mich zu bestimmen hast. Ich gehe dort hinunter! Ich weiß, dass der Simon und die Kinder dort sind.«
    »Und ich sage dir, du kommst mit mir, und zwar sofort!«
    Der Graf hob die Hände. »Um Himmels willen, hört gefälligst auf zu streiten! Schon gut, ich willige ein. Ihr sollt zwei meiner Männer haben. Sie werden sich dort unten einmal um ­schauen. Auch wenn ich nicht glaube, dass an euren Spukgeschichten irgendetwas dran ist.«
    »Danke, danke, Euer Gnaden!« Magdalena verbeugte sich kurz und eilte zurück zu dem Loch, das in die Tiefe führte. »Dann lasst uns keine Zeit verlieren.«
    »Verdammt, ich habe gesagt, du gehst mit mir!«, brüllte der Henker. »Ich bin immer noch dein Vater, also widersprich mir nicht ständig!«
    Doch Magdalena war bereits in den Untergrund hinabgestiegen. Die beiden übrigen Wachen standen ratlos auf der Treppe und blickten den Wittelsbacher Grafen an.
    »Was ist mit euch?«, fragte Wartenberg. »Seid ihr fest­gewachsen? Folgt gefälligst diesem Teufelsweib!« Er wandte sich schmunzelnd an Jakob Kuisl. »Du hättest deine Tochter in der Kindheit mehr züchtigen sollen. Doch dafür ist es jetzt wohl zu spät. Ein verflucht stures Mädchen ist das.«
    »Liegt in der Familie«, knurrte Kuisl und stieg achsel­zuckend die Treppe des verschütteten Bergfrieds hinauf. »Wenn sie dort unten wieder herauskommt, werde ich ihr gehörig den Arsch versohlen. Und jetzt lasst uns nach oben gehen. Bevor dieser Virgilius noch auf Nimmerwieder­sehen auf einem Blitz davonreitet.«
    Allmählich spürte Simon, wie seine Muskeln sich wieder zu regen begannen.
    Arme und Beine kribbelten, als würden Tausende von Ameisen darüberlaufen, und sein Herz raste, trotzdem versuchte der Medicus, sich nicht zu bewegen. Es war nicht ­abzusehen, was Virgilius mit ihm anstellen würde, wenn er erkannte, dass sein Opfer nicht so wehrlos war, wie er angenommen hatte. Simons Kinder schmiegten sich derweil an den leblosen, steifen Leib ihres Vaters und starrten mit großen Augen auf den merkwürdigen Buck­ligen vor ihnen.
    Noch immer rätselte Simon, wie er sich so täuschen lassen konnte. Der verbrannte Mönch am Friedhofsbrunnen war nicht Virgilius gewesen, sondern der Mönch aus dem dritten frischen Grab! Der Uhrmacher hatte ihnen einen Köder hingeworfen, und sie hatten ihn dankbar geschluckt.
    Das Taschentuch mit dem Monogramm Auroras! Virgilius selbst musste es dort verloren haben. Die Spuren waren von ihm! Aber er abergläubischer Trottel hatte ja an Golems und Hexerei glauben müssen!
    Der Uhrmacher hatte unterdessen die Hostien in dem Glas aufgelöst und das trübe Wasser in ein kleines Fläschlein gefüllt. Nun betrachtete er es gedankenverloren.
    »Voilà! Dies nenne ich das wahre Aqua vitae , das Wasser des Lebens«, murmelte er. »Eine Tinktur, stark wie die Träume, Ängste und Wünsche Abertausender Wallfahrer! Die heiligen Hostien sind über viele Jahrhunderte

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