Der Hexer und die Henkerstochter
Herrgott mag ihn trotzdem.«
Montag, der 21. Juni Anno Domini 1666,
zehn Uhr vormittags
ls Simon am späten Vormittag mühsam versuchte, die Augen zu öffnen, kam es ihm vor, als wäre er noch immer gelähmt. Doch dann merkte er, dass ihm nur Dreck und Ruß die Wimpern verklebten. Bis spät in die Nacht hatte er mit einigen anderen Benediktinern noch versucht, die Bücher aus der Bibliothek zu retten. Simon war einer der Letzten gewesen, die sich in das brennende Gebäude gewagt hatten. Als er gegen zwei Uhr früh mit einem besonders schweren Bündel Bücher herausgetaumelt war, war hinter ihm die bereits glühende Decke heruntergebrochen. Aber auf diese Weise hatte er wenigstens Athanasius Kirchers »Ars magna sciendi« vor den Flammen retten können. Die Andechser Chronik, die ihm Matthias im Hospital gestohlen hatte, blieb allerdings verschollen.
Simon lag auf der Bettstatt in der Kammer des Schinderhauses und starrte durch das kleine Fenster hinaus in den blauen Vormittagshimmel. Vögel zwitscherten, ein Sonnenstrahl fiel direkt auf sein Gesicht. Noch immer konnte der Medicus nicht glauben, dass das Kloster gestern beinahe vollständig abgebrannt war. Nur die Taverne und ein paar der Wirtschaftsgebäude waren verschont geblieben, von der Kirche standen nur noch die Grundmauern. Als Simon letzte Nacht schließlich vor Erschöpfung zusammengebrochen war, war das Feuer immer noch nicht ganz gelöscht gewesen.
Er reckte sich und bemerkte erleichtert, dass sich seine Muskeln wieder bewegen ließen. Sie taten zwar weh, so als hätte er nächtelang auf kalten Steinböden gelegen, aber wenigstens war die Lähmung verschwunden. Was für ein teuflisches Gift war das nur gewesen, das ihm Virgilius gestern verabreicht hatte?
Virgilius …
Fröstelnd dachte Simon an die düsteren letzten Tage, die er wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Erst das Lachen seiner Kinder brachte ihn wieder zurück in die Gegenwart. Peter und Paul standen feixend mit Magdalena in der Tür zur Kammer. Als sie sahen, dass er wach war, warfen sie sich lärmend auf das Bett und begannen auf ihm herumzuhüpfen. Die schrecklichen Erlebnisse der vergangenen Nacht schienen die Buben erstaunlich gut verkraftet zu haben, vermutlich waren sie noch zu klein, um sich länger daran zu erinnern.
»Aufhören, aufhören!«, stöhnte Simon und versuchte die Buben wieder aus dem Bett zu werfen. »Habt Mitleid! Euer Vater ist krank!«
»Euer Vater braucht vor allem ein Bad«, erwiderte Magdalena lächelnd. »Du schaust aus wie der leibhaftige Beelzebub.« Lachend zog sie ihrem Mann die Decke weg. »Komm schon, der Graetz hat dir eine frische Waschschüssel auf den Tisch drüben in der Stube gestellt. Er lässt sich entschuldigen, aber er ist zum Pfarrer, um das Begräbnis vom Matthias zu besprechen.« Ihr Gesicht verdüsterte sich plötzlich. »Er kann es immer noch nicht fassen, dass sein Geselle mit Virgilius gemeinsame Sache gemacht haben soll. Und ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Graetz wird bereits morgen für Matthias in der Erlinger Pfarrkirche eine Messe lesen lassen.«
Sie schüttelte sich, um die bösen Gedanken zu vertreiben. Dann gab sie ihrem Mann einen sanften Tritt. »Und jetzt raus, hab ich gesagt! Der ganze Ort ist schon seit Stunden auf den Beinen, nur du liegst hier noch faul rum!«
»Gnade, ich komm ja!« Simon stand gähnend auf und rieb sich die Augen. »Immerhin haben wir gestern Nacht fast alle Bücher retten können. Da wird man wohl ein wenig länger schlafen dürfen.« Mit ernster Miene wandte er sich an seine Frau. »Die Kirchenschätze sind wohl zum Großteil verbrannt, vermute ich?«
Magdalena schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, die Reliquien sind allesamt unversehrt. Das Feuer hat direkt vor der Tür zur Heiligen Kapelle haltgemacht. Nur die hölzernen Riegel sind verkohlt.«
»Bei allen Heiligen, das ist wirklich ein Wunder!«
»Das sagen die Leute auch.« Magdalena grinste. »In Zukunft werden wohl noch mehr Pilger auf den Heiligen Berg strömen. Der Abt hat sich heute früh bereits an die Wallfahrer gewandt. Er hat ihnen ein neues, noch schöneres Kloster versprochen. Für die Handwerker aus Wessobrunn, aber auch für die unsrigen aus Schongau wird’s einiges zu tun geben. Der Zimmermann Hemerle und ein paar andere wollen gleich hierbleiben.«
Simon ging hinüber in die Stube, beugte sich über die Waschschüssel und rieb sich den gröbsten Schmutz aus dem Gesicht, während Peter und Paul sich
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