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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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untergetaucht. Ein seltsames Kribbeln erfasste ihn, als er, verborgen unter seiner Kutte, dem großen breitschultrigen Mann nachblickte. Dieser grobschlächtige Riese war gar nicht so dumm, wie er aussah! Er hatte ganz offensichtlich die Waffe erraten, und er stellte die richtigen Fragen. Der Mann würde sich vor ihm in Acht nehmen müssen. Leise hastete er zurück hinter die Klostermauer – wie eine fette Erdkröte, die nur kurz an die Oberfläche gekommen war, um sich an der Sonne zu wärmen. Erst im schattigen dunklen Wald des Kientals fühlte er sich wieder sicher. Trotzdem blieb ein leises Gefühl der Angst, dass sein Vorhaben misslingen könnte.
    Nun waren es schon drei, die im Kloster herumschnüffelten! Wenn er nicht aufpasste, war bald halb Andechs hinter ihm her. Dieses Mädchen hatte ihm bereits zweimal in die Suppe gespuckt. Ein drittes Mal würde ihr das nicht gelingen, dafür würde er schon sorgen! Er musste das nächste Mal nur sorgfältiger vorgehen. Vielleicht ein Gift, eine lautlose Klinge in der Nacht, eine Nachricht, die sie in eine Falle lockte … Es gab so viele Möglichkeiten.
    Das nächste Mal musste er seinem Gehilfen noch deut­licher einschärfen, wie wichtig es war, dass das Mädchen verschwand. Manchmal war der Bursche einfach zu feinfühlig. Doch Gefühle waren wie giftige Dämpfe, sie umnebelten einen, und ehe man ihrer gewahr wurde, war es zu spät. Er selbst wusste, was Gefühle anrichten konnten. Zu oft hinterließen sie ein Loch in der Seele, das man nicht mehr stopfen konnte.
    Leise ertönte von weit entfernt die altbekannte Melodie. Der Mann spürte, wie mit ihr die alte Sicherheit zurückkehrte. Nichts konnte ihn mehr aufhalten. Auch dieses Schongauer Pack nicht.
    Nur noch fünf Tage, dann würde sein Traum endlich in Erfüllung gehen.

Dienstag, der 15. Juni Anno Domini 1666,
nachmittags in Erling
    ch soll was ? Seid’s ihr narrisch?«
    Der Schongauer Henker hatte sich im Haus des Schinders gerade seine zweite Pfeife angezündet. Doch als Simon nun zögernd seine Bitte vortrug, ließ er sie wie ein Stück Dreck zu Boden fallen. Schnell hob Magdalena sie auf, bevor ihre beiden Kinder das rauchende Stöckchen näher in Augenschein nehmen konnten. Sie hatten in der engen Stube bereits einen Tonkrug zerdeppert und den Kornkasten ausgeleert.
    »Nun, ich glaube, es ist die einzige Möglichkeit, wie wir mehr über dieses Kloster und seine Bewohner erfahren können«, erwiderte Simon zögerlich. »Außerdem hat Magdalena recht. Wenn Ihr mit Eurem Freund Nepomuk sprechen wollt, dann sicher nicht als pilgernder Scharfrichter.«
    »Aha, aber als stinkender Mönch, ja?« Jakob Kuisl spuckte aus. »Vergesst es. Ich kann ja nicht mal das vollständige Cre­do beten, geschweige denn so buckeln wie diese Pfaffen.«
    »Das musst du doch auch nicht«, flötete Magdalena mit sanfter Stimme. »Ein wenig Demut würde schon reichen. Du wirst sehen, du gibst einen hervorragenden Mönch ab.« Sie drückte ihrem Vater die kokelnde Pfeife in die Hand und ­lächelte ihn aufmunternd an, was dieser mit einem Grunzen quittierte.
    »Was ist schon dabei?«, fuhr sie fort. »Simon wird dich einfach als wandernden Franziskanermönch vorstellen, der ihm bei der Pflege der Kranken hilft. Der Abt ist zurzeit froh um jeden, der ihm eine Sorge abnimmt. Und seitdem dieses seltsame Fieber ausgebrochen ist und dein ­Nepomuk im Karzer hockt, wird diese Wallfahrt sowieso immer mehr zu einem Zug der Siechen und Kranken. Keiner verlangt von dir Lieder und Gebete, du sollst einfach nur die Augen offen halten.«
    »Ein Henker als Mönch !« Jakob Kuisl spie den Namen so verächtlich aus, dass seine Enkel erschrocken auf den Schoß ihrer Mutter krabbelten. »Kommt nicht in Frage. Darauf fällt nicht mal ein Blinder rein. Es muss einen anderen Weg geben.«
    Simon sah hinüber zu Magdalena und seufzte leise. Er hatte gewusst, dass es nicht leicht sein würde, seinen Schwiegervater von dem Plan zu überzeugen. Die Idee war ihm gekommen, als er den stämmigen Bruder Martin in seiner Kutte unter den Benediktinern entdeckt hatte. Das Gewand war die perfekte Tarnung, um mehr über den inneren Zirkel der Andechser Mönche herauszufinden. Ihn selbst kannten die Brüder bereits, aber sein Schwiegervater schien ohnehin die bessere Wahl zu sein. Brummig und schweigsam wie er war, hätte er ebenso gut dem Schweigeorden der Kartäuser angehören können. Schon heute Mittag hatte Simon deshalb Magdalena in seinen Plan eingeweiht.

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