Der Hexer von Hymal 01 - Ein Junge aus den Bergen
durch den Kopf, nach des Vaters Tod vor gut drei Jahren, war der älteste Bruder der designierte Nachfolger des Großvaters. Ausgerechnet Gimu war jetzt wohl Herr auf dem Hof. Kein Wunder also, dass die Mutter ihn hier haben wollte, wenn Nikko seine Geschichte erzählen sollte.
»Jetzt, wo es dir besser geht, schläfst du aber wieder in deinem Bett. Gimu wird Großvaters Zimmer beziehen«, meinte die Mutter noch. »Deine Taschen sind noch in Großvaters Zimmer. Hol sie doch bitte raus und pack sie zu deinem Bett. Wo hast du überhaupt das ganze Zeug her, Junge?«
Nikko antwortete nicht darauf, wunderte sich aber, was die Mutter mit dem ganzen Zeug wohl meinte. Thorodos’ Rucksack sicherlich. Das dicke Buch, der seltsame Stab. Jetzt erinnerte er sich wieder daran.
»In etwa einer Stunde gibt es Mittag. Auch wenn ich Zweifel habe, ob du bis dahin wieder Hunger hast, bist du da und antwortest Gimus Fragen! Ist das klar?«, unterbrach die Mutter seine Gedanken.
»Ja, Mutter«, antwortete Nikko brav.
»So, jetzt raus aus der Küche! Ich muss das Essen vorbereiten«, befahl die Frau.
Da Nikko keine Lust hatte, den anderen Verwandten noch vor dem Mittagsmahl über den Weg zu laufen, entschloss er sich im Haus zu bleiben. Zunächst wollte er seine Sachen inspizieren, um sicher zu sein, dass noch alles vorhanden war. Insbesondere der Zauberstab lag ihm am Herzen. Hatte er dem sonst wehrlosen Jungen doch mehrfach schon das Leben gerettet.
Im Zimmer des Großvaters fand er die Sachen neben dem Bett. Gut, dass sie noch nicht ins Schlafgemach der Kinder gebracht worden waren. Sicherlich hätten die neugierigen Geschwister dort nicht die Finger von ihnen lassen können.
Zuerst kontrollierte der Junge den Rucksack des alten Thorodos. Der dicke Wälzer war noch da, der treue Stab und auch der Pfeil aus dem Wald. In seiner anderen Tasche fand er nur die letzten Reste Wurst und Fleisch, die er sich aufgespart hatte, sowie das kleine Ledersäckchen mit den Kupfermünzen. Nach einer Woche jedoch, und wohl vorher schon im Schnee aufgeweicht, stanken die Vorräte jetzt widerlich. Aufgeweicht, ging es Nikko durch den Kopf, als er das geheimnisvolle Buch des alten Thorodos erneut inspizierte. Gut, es war trocken und zeigte keine Anzeichen von Schimmel. Erneut versuchte er, das geheimnisvolle Werk zu öffnen. Leider jedoch wieder ohne Erfolg. Noch immer schienen die Seiten fest zusammenzukleben.
Doch was war das? Eine dritte Tasche! Woher stammte diese nur? Aus glänzendem Leder gefertigt mit einem langen Riemen. Riemen, erinnerte er sich da. Die Eisleiche und der verhedderte Fuß! Genau. Hatte er etwa unbewusst die Tasche vom Pass mitgenommen? So sehr er seine Gedanken auch zu ordnen suchte, daran konnte er sich gar nicht erinnern. Aber es musste wohl so gewesen sein.
So inspizierte er die fremde Tasche nun genauer. Ein buntes Wappen prangte stolz auf ihr. Eine Art Turm, aus dem eine Straße heraus kam. Im Hintergrund Berge. War dies nicht das Emblem, welches die Expedition nach Hymal trug, versuchte sich Nikko zu erinnern. Wahrscheinlich war dies das Wappen des Fürstentums Hocatin, zu dem ja auch das Dorf gehörte.
Er öffnete die schöne Tasche vorsichtig und fand darin einen dicken Umschlag mit einem glänzend roten Siegel, unter welchem in geschwungener Schrift geschrieben stand: Seiner Durchlaucht, dem Fürsten von Hocatin . Ein Brief an den Fürsten! Der musste wirklich wichtig sein. Wie lange er wohl auf dem Pass gelegen hatte?
Etwas später ging Nikko dann wieder hinunter in die Küche, um sich den bohrenden Fragen der Familie beim gemeinschaftlichen Mahl zu stellen. Auf dem Weg fragte er sich, wie es nun wohl weitergehen sollte. Gerade unter Gimu, dem garstigen großen Bruder, auf dem Hof zu schuften, mochte sich der arbeitsscheue Junge kaum vorstellen.
»Soso, der große Reisende ist zurück«, empfing ihn Gimu mit höhnendem Ton, als er dann schüchtern in die Küche trat.
Nikko wollte darauf lieber gar nicht erst eingehen und fragte sich, ob Gimu tatsächlich noch unerträglicher geworden war, jetzt wo ihm der ganze Hof unterstand.
»Nun lass den Jungen sich doch erst einmal setzen«, fuhr die Mutter dazwischen, die wohlerfahren darin war, ihren Nachwuchs täglich neu zu zähmen. »Dann kann er uns ja die ganze Geschichte in Ruhe erzählen.«
Nikko war die Lust darauf bereits jetzt schon vergangen. Sicherlich, drüben im feindseligen Hymal und oben auf dem Pass hatte er sich auf den heimischen Hof doch so
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