Der Hexer von Hymal 01 - Ein Junge aus den Bergen
gerade hier, wo all das Schreckliche geschehen war, kamen die grausamen Bilder zurück. Der fremde Mann in der schwarzen Robe, der den alten Mann zum Duell gefordert und ihn dann hinterrücks erschießen hatte lassen. Nikko konnte sich die Tränen der Trauer nicht verwehren. Immer mehr schien ihm der alte Kauz zu fehlen.
Sein Blick schweifte nach Westen, wo langsam die Sonne unterging. In einen unwirklichen Feuerschein tauchte sie die spitzen Gipfel dort, so dass diese fast zornig glühten. Wie Reißzähne einer Flammenbestie, die drohend über den Pass wachte, erschienen sie dem Jungen, der jetzt überall die schrecklichsten Gefahren wähnte.
Schließlich kuschelte er sich wieder in seine Decken, die ihm wenigstens etwas Schutz vorgaukelten in der bedrohlichen Finsternis. So machte er es sich gemütlich, so gemütlich wie es eben ging. Trotz allem, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, fühlte er sich hier erst einmal sicher.
In dieser scheinbaren Sicherheit plagten ihn dann plötzlich ganz andere Gedanken. Wie er erst jetzt richtig verstand, hatte er gemordet an diesem Tag. Nie zuvor in seinem Leben hatte er getötet. Vier der Kreaturen, wenn er da richtig zählte, hatte er mit dem Blitzstab erlegt. Grässliche Bestien zwar, aber dennoch fast wie Menschen. Sicherlich, er hatte sich ja nur verteidigt. Aber hatte er vielleicht ihr Gebiet unerlaubt betreten? Wollten die Wesen wohl doch nur ihr Territorium verteidigen? Dennoch, er konnte keine Reue empfinden.
Die Nacht verlief besser als die letzten. Zwar träumte er auch diesmal wieder von Thorodos’ Mord, aber insgesamt war sein Schlaf doch ruhiger und erholsam. Mit den ersten Sonnenstrahlen im Osten wachte er auf und genoss sogleich sein sparsames Frühstück.
Schnell machte Nikko sich dann auf den Weg zum hohen Pass. Je früher er ihn schließlich hinter sich lassen würde, desto besser. Heute Abend zurück im heimischen Vyldoro zu sein, war kein einfaches Ziel, aber doch machbar. Alles, was ihn jetzt noch beunruhigte, waren die drohenden Wolkenfetzen hoch in den Bergen. Hoffentlich würden sich diese nicht noch zu einem Unwetter zusammenbrauen. Hoffentlich würde es dort oben keinen neuen Schnee geben.
Der Aufstieg war schwieriger und dauerte wesentlich länger, als er erwartet hatte. Zu sehr steckten ihm die vielen Strapazen der letzten Tage doch noch in den Knochen und wohl auch in der Seele, die der Schrecken von Hymal noch immer plagte. Auch gingen ihm die wenigen Vorräte langsam zur Neige. Nur ein paar karge Bissen hatte sich der Junge zum Mittag gegönnt, welches er auf dem kleinen Plateau zu sich genommen hatte, auf dem er mit Thorodos die erste Nacht verbracht hatte.
Nikkos Stimmung war zunehmend getrübt. Er war nur noch müde und wurde schwächer. Am liebsten hätte er sich jetzt auf den Boden geworfen und ungehemmt geheult. Wütend machten ihn die endlosen Strapazen und ließen ihn fast verzweifeln. Die Wolken hatten sich zudem noch weiter zusammengezogen und überschütteten den unglücklichen Wanderer mit gelegentlichen Schauern. Bald auch würde ihn sein Weg wieder durch den kalten Schnee führen.
Nikkos Befürchtungen jedoch, den Pfad im Schnee nur schwer zu finden, bewahrheiteten sich glücklicherweise nicht. Den Weg unter der weißen Decke auszumachen, war zwar nicht einfach, aber frische Fußstapfen wiesen ihm den Weg. Dies mussten wohl die Spuren des schwarzgekutteten Mannes und seiner Handlangern sein, die den beiden offenbar über den Pass gefolgt waren. Unangenehm empfand der ausgezehrte Junge jedoch die zunehmende Kälte hier oben, die langsam in die müden Glieder kroch. Auch waren seine Kleider noch klamm vom Regen weiter unten im Tal.
Nikko machte auf dem höchsten Punkt im Osten des Passes kurz Rast. Von hier würden es vielleicht noch ein bis zwei Stunden bis zum höchsten Punkt im Westen sein, versuchte er mit Hilfe seiner Erinnerungen zu schätzen. Es war jetzt schon später Nachmittag und er musste sich sputen, wenn er die kalte Bergnacht nicht auf dem ungeschützten Pass verbringen wollte. Die Wolken waren jetzt bedrohlich dicht und dunkel. Einzelne Schneeflocken ließen zudem nichts Gutes erahnen. Auch blies ein beißender Wind.
Wenig später fand sich der Junge in einem wild wirbelnden Flockmeer wieder, das ihm die fast Sicht nahm. Aus dem Wind war ein eisiger Sturm geworden, der ihm den Schnee gnadenlos ins Gesicht peitschte. Noch konnte er gerade so die Fußstapfen erkennen, die ihm den Weg nach Westen wiesen.
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