Der Himmel auf Erden
ich eine ganz normale Folgefrage gestellt hätte, dachte Winter. Nicht »Wer ist Gustav Smedsberg?«. Er kennt den Namen, aber vielleicht ist es ihm auch egal. Es war ein langer Tag. Für ihn, für mich. Dieses Gespräch führt nirgendwohin. Er kann nach Hause gehen, ich kann nach Hause gehen. Er hat mit dem Ganzen nichts zu tun. Oder er hat die Eisen gestohlen, und dann kriegen wir es heraus, vielleicht hat er sie benutzt. Nein. Nicht er. Merkwürdig ist nur, dass er hier anscheinend endlos sitzen kann, ohne sich darüber zu ärgern. Vorher war er irritiert gewesen, gereizt, am Telefon. Jetzt nicht. Jetzt schüttelte er den Kopf.
»Georg Smedsberg«, wiederholte Winter.
»Nein.«
»Ein Nachbar.«
Jerners ruhiges Gesicht wandte sich unbestimmt ab. Winter sah etwas in seinen Augen, vielleicht einen Protest: Smedsberg ist kein Nachbar. Zu weit entfernt.
»Gerda«, sagte Winter.
Der Mann zuckte zusammen. Er sah Winter an, hob ein wenig den Kopf. Die Augen hatten immer noch die gleiche Durchsichtigkeit.
»Wann haben Sie Gerda getroffen?«, fragte Winter. »Wewelche Gerda?«
»Gerda war Ihre Nachbarin.« Er fragt nicht, was das damit zu tun hat, dachte Winter. Und er sagt es nicht: Wer ist Gerda? Sein Gesicht ist wieder wie vorher. Diese Menschen vom Land. Wir hören jetzt auf. Ich muss mich um Micke Johansson kümmern.
»Ich möchte Sie Heiligabend nicht länger als nötig belästigen«, sagte er. »Aber ich lasse wieder von mir hören, falls es mehr Erkenntnisse gibt.«
Jerner erhob sich und nickte. »Wann haben Sie wieder Dienst?«
Jerner öffnete den Mund. Er schien Luft zu schlucken, dann schloss er ihn wieder.
»Wann müssen Sie wieder arbeiten?«, fragte Winter.
»Momomorgen«, sagte Jerner.
Er ist nervös. Wegen irgendwas nervös.
»Den ganzen Tag?«
Jerner nickte.
»Hart«, sagte Winter. Sie gingen in den Korridor und nahmen den Aufzug nach unten. Jerner hatte die linke Hand in der Jackentasche. Die Handschuhe trug er in der Rechten, die Aktentasche unterm linken Arm. Er schaute geradewegs in sein Spiegelbild. Winter sah sich neben Jerner stehen, aber der schien ihn nicht wahrzunehmen. Als ob ich ein Vampir wäre, der kein Spiegelbild hat. Aber ich bin kein Vampir, ich bin da. Ich sehe müde aus. Jerner wirkt viel munterer.
»Welche Linie fahren Sie?«, fragte Winter, als sie auf den Ausgang zugingen.
Jerner hielt drei Finger hoch. Es ist fast komisch, dachte Winter.
»Die Drei«, übersetzte er die Zeichensprache, und Jerner nickte.
*
Ringmar kam aus seinem Zimmer, als Winter aus dem Fahrstuhl stieg. Er sah anders aus als vorher.
»Ich fahr jetzt«, sagte Ringmar. »Wohin?«
»Nach Hause.«
»Ist jemand da?«
»Nein. Aber ich muss die Lage prüfen.«
»Du kannst gerne später zu mir kommen«, sagte Winter. »Heute Nacht hat gereicht. Aber vielen Dank.«
»Komm ruhig, falls du es dir anders überlegst.« Ringmar nickte. Er setzte sich in Bewegung.
»Hast du etwas… Neues erfahren?«, fragte Winter.
»Es war Birgitta«, antwortete Ringmar.
»Und?«
»Sie will jetzt jedenfalls mit mir reden.«
»Worüber?«
»Über Martin. Was zum Teufel denkst du denn?«
Winter sagte nichts. Draußen im Treppenhaus hörten sie Schritte. Der Fahrstuhl brummte in irgendeine Richtung.
»Es gibt einen Hoffnungsschimmer«, sagte Ringmar.
»Komm später zu mir«, sagte Winter.
»Bis dann«, antwortete Ringmar und zog im Gehen seinen Mantel an.
»Das Auto ist da«, sagte Björck unten in der Wache zu ihm.
Ringmar fuhr mit seinem Dienstwagen auf die Schnellstraße, Richtung Norden. Es war still im Auto, kein Radio, kein Heaven Is a Place On Earth. Er wusste nicht, ob Smedsberg zu Hause sein würde.
*
Winter knipste das Licht aus und ging. Seine Schritte hallten mehr denn je auf dem Korridor wider. Das Handy klingelte.
»Ich bin nicht damit einverstanden, dass du heute Abend allein herumsitzt, Erik.«
Seine Schwester. Sie hatte gestern schon angerufen und vorgestern. Sie wollte nicht akzeptieren, dass es ihm nichts ausmachte, an diesem Abend allein zu sein.
»Ich muss arbeiten, Lotta.«
»Du meinst, du musst allein sein, damit du nachdenken kannst, oder?«
»So ist es.«
»Du musst was essen.«
»Das stimmt.«
»Du brauchst Gesellschaft.«
»Vielleicht komm ich später kurz vorbei«, sagte er.
»Das glaub ich nicht.«
»Liebe Lotta, ich hab mir das hier nicht freiwillig ausgesucht.«
»Du bist jederzeit willkommen«, sagte sie und legte auf.
*
Auf den Autoscheiben war eine
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