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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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man die Leute dahin führen,
     das zu erkennen? Oder tat man das besser nicht? War er befugt, an ihrer Art zu leben zu rütteln? Die meisten Leute, die hier
     wohnten, sah er nie im Gottesdienst. Sie glaubten nicht, dass ihnen die Kirche etwas zu bieten hatte, außer vielleicht einen
     festlichen Hintergrund für Familienfeiern. Immer wenn er das denken musste, wandte er sich ab und ließ es liegen wie ein verschnürtes
     Paket, das er nicht öffnen mochte.
    Er fühlte sich immer erleichtert, wenn er das Neubauviertel hinter sich gelassen hatte und sich im offenen Gelände befand.
     Zuerst kam noch die Baumschule, in der die Leute die Blautannen und Lebensbäume für ihre Gärten kauften, dann hörte die asphaltierte
     Straße auf und ging in einen mit Gras überwachsenen Lehmweg über, der an Maisplantagen, danach an leeren Viehweiden vorbeiführte.
     Die Kühe standen meistens im Stall. Spaziergänger traf man hier selten. Bei schönem Wetter saßen die Leute auf ihren Terrassen
     und in ihren Gärten. Die Jugendlichen fuhren am Wochenende in die Stadt, um in die Diskothek zu gehen. Im Keller des Gemeindehauses
     war auch eine Musikanlage installiert worden. Doch von dem Raum wurde wenig Gebrauch gemacht, außer von einer Band, die dort
     zweimal im Monat geprobt hatte, anscheinend ohne je weiterzukommen. Er hatte sich |58| schon oft gesagt, er müsse sich etwas einfallen lassen, um den Raum attraktiver zu machen. Vielleicht sollte er die Jugendlichen
     anregen, ihn nach eigenem Geschmack auszumalen, damit sie sich dort zu Hause fühlten. Vor allem musste er einen Anlass schaffen,
     dass sie überhaupt ins Gemeindehaus kamen. Jedes Mal, wenn er sich das gesagt hatte, war er zu keinem Entschluss gekommen.
     Er hatte keine brauchbaren Einfälle gehabt, vermutlich weil er keinen Zugang zu den Jugendlichen hatte. Sie waren ihm fremd,
     und zwar nicht als einzelne Menschen, die so oder so waren, sondern weil er sie als eine Gruppe empfand. Er selbst war als
     Schüler ein Einzelgänger gewesen, der die Unterrichtsstunden den Pausen vorgezogen hatte und der Gemeinschaft der Gleichaltrigen
     ausgewichen war, weil er in der Gruppe immer das Gefühl gehabt hatte, sein eigenes Leben werde erdrückt. Im Seminar war das
     anders geworden. Dort hatte es gemeinsame Themen gegeben und eine entwickelte Sprache, in der er sich auszudrücken lernte.
     Seitdem er Pfarrer war, fehlten ihm allerdings diese Gespräche. Trotz seiner Geschäftigkeit und der vielen Begegnungen, die
     ihm sein Amt einbrachte oder aufnötigte, fühlte er sich oft zurückfallen in sein altes Laster der Grübelei.
    Die Hauptschwierigkeiten lagen bei ihm selbst. Vielleicht war er nie ein richtiges Kind gewesen. Seine spärlichen Erinnerungen
     an die Kindheit waren fast alle vage. Und er war auch nicht erwachsen. Aber er stellte Ansprüche an sich und die anderen Menschen,
     denen keiner genügen konnte. Du willst ja im Grunde allein bleiben, hatte ihm Patrik gesagt. Und mit |59| seinem Sinn für Widersprüche hatte er hinzugefügt: Aber du magst dich nicht daran gewöhnen.
    Wahrscheinlich war es so. Wahrscheinlich hatte Patrik recht.
    Er war jetzt bei den Weidenbüschen angelangt, die entlang eines gradlinigen schmalen Wassergrabens zwei leere Viehweiden trennten.
     Auf dem Weg standen noch Wasserlachen vom nächtlichen Regen. Vögel, die darin gebadet hatten, flogen vor ihm auf. Der Himmel
     war wolkenlos blau, leer geräumt durch den sanften Wind, der inzwischen abgeflaut war. Im Westen zeigte sich das beginnende
     Abendlicht in blassen, vanillefarbenen und zartrosa Streifen, wohl ein Gut-Wetter-Zeichen. Er atmete die weiche Abendluft
     und sah, dass sich in dem dichten Gebüsch, das an den Wegrand herangerückt war, kein Blatt regte. Hinter der grünen Blätterwand
     waren leise Vogelstimmen zu hören. Er konnte sie nicht unterscheiden, hatte es nie gelernt. Als er zu einer vom Gebüsch eingerahmten,
     grün vermoderten Bank kam, entschied er sich, nicht bis zum See weiterzugehen, sondern hier eine Weile ruhig sitzen zu bleiben.
     Hier attackierte ihn nichts. Eigentlich, dachte er, sollte so das Leben sein.
     
    Den Abend verbrachte er, wie viele Abende in letzter Zeit, in seiner Wohnung. Und mit der Neigung des Einzelgängers, die alltäglichen
     Notwendigkeiten möglichst zu vereinfachen, machte er sich ein Wurst und ein Käsebrot, legte eine in Scheiben geschnittene
     Tomate dazu, goss sich ein Glas Kefir ein und setzte sich damit vor den Fernseher, um

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