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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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die Tagesschau anzusehen. |60| Nach dem Wetterbericht schaute er noch den Anfang eines Kriminalfilms an, bis ihm einfiel, Patrik anzurufen. Aber das war
     nicht üblich zwischen ihnen. Für einen unerwarteten Anruf am späteren Abend brauchte er inzwischen einen sachlichen Grund.
     Es fiel ihm nichts Glaubhaftes ein, außer Patriks Bitte, einen Redebeitrag für eine vom ihm mitbetreute Akademietagung zu
     liefern, zu dem er sich bisher nicht entschließen konnte. Vielleicht hatte Patrik das schon wieder vergessen.
    Das Problem erledigte sich, da der Anrufbeantworter eingeschaltet war und die korrekte Tonbandstimme seines alten Freundes
     ihn aufforderte, nach dem Signalton seine Nachricht, seinen Namen und seine Telefonnummer zu hinterlassen. Wortlos legte er
     auf, trug die Reste seines Abendessens in die Küche und ließ in der Spüle Wasser in das Glas und über den Teller laufen. Was
     nun? Der Vorgang war abgeschlossen.
    Er blickte sich um. Auf dem Schrank stand eine angebrochene Flasche Rotwein, auf dem Abstelltisch neben dem Fernseher lagen
     ungelesene Zeitschriften. Ein ganzer Stoß. Immer sammelte sich etwas an, was auf einen zu warten schien. Lebenszeichen außerhalb
     der Pflichten, eine Art Fluchtangebot. Im Augenblick kam ihm das alles unberührbar vor. Sollte er vielleicht noch einmal versuchen,
     Karbe anzurufen? Nein, dazu war es schon zu spät. Doch morgen wollte er auf jeden Fall zu ihm vordringen. Sie mussten über
     die Beerdigung seiner Frau reden. Wegen des Ablaufs der Feier, aber auch über möglicherweise zu erwartende |61| Reaktionen der Trauergäste. Wie Karbe die Beerdigung überstehen würde, war schwer vorstellbar, denn er würde von allen Leuten
     beobachtet werden, ob irgendetwas Auffälliges an ihm war. Aber er musste sich stellen. Er durfte nicht ausweichen. Noch allerdings
     gab es keinen Termin. Der zur Obduktion beschlagnahmte Leichnam der Frau war noch nicht wieder freigegeben. Jedenfalls hatte
     er noch nichts gehört.
     
    Es war schon gegen Morgen, als er, kurz erwachend, begriff, dass er immer wieder in denselben Traum geriet. Ein unsichtbarer
     Feind jagte ihn durch dunkle Raumfluchten, die sich allmählich verengten und keinen Ausgang mehr hatten oder, was noch schlimmer
     war, keinen, den er finden konnte. Mehrfach entkam er, wenn er keine Chance mehr hatte, weil sich in ihm ein Nein zusammenballte,
     das die Regeln oder Umstände der Verfolgungsjagd für einen Augenblick außer Kraft setzte. Schließlich war er auf die Straße
     gelangt, eine menschenleere, dämmerige Straße, gesäumt von einer Wand verschlossener Häuser, an der er entlanglief, in der
     Hoffnung zu entkommen. Hinter ihm verdichtete sich etwas. Es war zunächst nur ein wachsender Schatten. Aber er wusste schon,
     es war wieder der Feind, der in einem großen schwarzen Fahrzeug hinter ihm herfuhr, während er lief und seinen jagenden Herzschlag
     spürte, sodass er einen Moment denken konnte: Der Herzschlag lässt mich das träumen, mein Herz schlägt viel zu schnell. Aber
     er konnte den Traum nicht anhalten und nicht aus ihm |62| hinausfinden. Der schwarze kastenartige Wagen rollte jetzt lautlos neben ihm her und drängte ihn langsam gegen die Häuserfront.
     Das Fenster der Beifahrertür glitt herunter, und heraus streckte sich ein behaarter Männerarm, der ihm, mit der Öffnung nach
     oben, einen schwarzen Zylinder hinhielt, als erwartete er eine Spende und zugleich als grüße er ihn.
    Diese Geste erschreckte ihn so, dass er im Bett hochfuhr und erst im Sitzen wieder zu sich kam. Minutenlang wagte er nicht,
     sich wieder hinzulegen.

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|63| III
    DER MONTAG UND DER DIENSTAG vergingen wie in einer anhaltenden Windstille. Frau Meschnik, seine Halbtagssekretärin, hatte
     sich freigenommen, um zu einem Familienfest zu fahren. Ihr Patenkind, die jüngste Tochter ihrer Schwester, heiratete in Bad
     Zwischenahn bei Oldenburg. Das hatte sich ihm eingeprägt, weil ihm gerade die Hochzeitsfeier im Hotel Bellevue bevorgestanden
     hatte, als sie es ihm erzählte, und weil ihm der Ortsname merkwürdig erschienen war. »Da bin ich noch nie gewesen«, hatte
     er gesagt. Frau Meschnik hatte daraufhin einen Prospekt aus ihrer Handtasche gezogen und ihm ein Foto des Hotels gezeigt,
     das dem Bellevue ziemlich ähnlich sah. Es hatte fast zutraulich gewirkt, jedenfalls ungewohnt. Denn eigentlich war Frau Meschnik
     eine kritische und streitbare Person, die ihn immer noch mit seinem Vorgänger verglich. Was für

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