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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Standpunkt klargemacht.
     Die Reaktion kam zögernd und unsicher. Einige in der Runde nickten. Rainer blickte nur vor sich hin. Wilfried Otten, einer
     der beiden pensionierten Lehrer im Gemeindevorstand, fragte, ob er schon mit den Eltern von Kerstin Karbe gesprochen habe.
    »Nein, habe ich noch nicht. Soviel ich weiß, leben sie nicht im Bereich unserer Pfarrgemeinde. Aber ich werde sie in nächster
     Zeit besuchen.«
    »Die beiden sind völlig außer sich«, sagte Otten. »Sie haben erfahren, dass ihr Schwiegersohn vor einem |113| halben Jahr ein Familiengrab gekauft hat, und es ist ein schrecklicher Gedanke für sie, dass ihre Tochter und das Enkelkind
     irgendwann zusammen mit Karbe in einem Grab liegen werden.«
    »Sie gehen also nicht von einem Unfall aus?«
    »Nein. Sie haben die größten Zweifel. Es ist offenbar besonders schrecklich für die beiden, dass es sich um ein Tiefgrab handelt,
     in dem die Toten übereinanderliegen, ganz unten ihre Tochter.«
    Sekundenlang sah er wie eine blasse schematische Skizze einen Stapel toter Körper. Aber nur Karbe bekam in diesem Bild eine
     abstoßende Deutlichkeit: ein abgemagerter, unrasierter, verwahrloster Mann, tot über dem Leichnam seiner jungen Frau liegend.
    Grotesk, dachte er. Hatte Karbe sich das so überlegt, als er ein Tiefgrab kaufte? Als Eschweiler ihm vom Kauf der Grabstätte
     erzählte, hatte er das – vielleicht weil er andere Gedanken abwehren wollte – als einen nicht unüblichen geschäftlichen Vorgang
     dargestellt. Aber ihm war dabei gleich der Gedanke gekommen, dass sich dahinter eine depressive Phantasie verbarg: der düstere
     Wunschtraum einer Vereinigung der zerstrittenen Familie nach dem Tod.
    »Worum geht es den Eltern von Kerstin Karbe eigentlich?«, fragte er. »Was stellen sie sich vor?«
    »Sie haben sich nur andeutungsweise geäußert.«
    »In welchem Sinne?«
    »Die Eltern«, begann Otten von Neuem und dehnte das Wort, um ihm mehr Bedeutung zu verleihen, »wollen mit allen Mitteln verhindern,
     dass ihre Tochter und das Enkelkind dort begraben werden |114| . Sie haben sich schon mit einem Rechtsanwalt besprochen.«
    Jemand stieß ein kurzes, meckerndes Lachen aus. Das war Rainer gewesen, der verlegen seinen Blick senkte.
    Es entstand eine betretene Stille, in der sich etwas in seinem Kopf neu ordnete, eine sich verdichtende neue Wahrscheinlichkeit.
     War das der Grund, weshalb der Leichnam von Kerstin Karbe noch nicht zur Bestattung freigegeben war? Hatte der Rechtsanwalt
     der Eltern beim Amtsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Bestattung beantragt? Und hatte Eschweiler schon davon gehört,
     als er heute Morgen angerufen hatte? Weshalb hatte er dann nichts gesagt? Oder hatte er eine Andeutung gemacht? Er konnte
     sich nicht mehr genau an das Gespräch erinnern, im Augenblick sogar fast gar nicht. Ausgangspunkt war der Zeitungsbericht
     gewesen, der etwas merkwürdig Manipulatives gehabt hatte. Zur Unterstützung einer solchen Eingabe beim Gericht war der Artikel
     hervorragend geeignet. Und Rainer? Wusste er etwas davon? Wusste vielleicht die ganze Gemeinde schon Bescheid? Die Eltern
     von Kerstin Karbe waren angesehene Leute, Personen mit Einfluss. Und ihr Schwiegersohn, den sie wohl nie gemocht hatten, war
     ein Mensch, der keine Sympathien auf sich zog. So regelten sich die Dinge. War auch der Zeitungsartikel manipuliert? Oder
     phantasierte er jetzt?
    Wie eine Spindel drehte es sich in seinem Kopf. Er hörte ein Räuspern und unterdrücktes Husten und musste sich innerlich schütteln,
     um den wachsenden |115| Druck loszuwerden. Er saß am Kopfende des Tisches, und alle Gesichter waren ihm zugewandt, manche mit einem Ausdruck offener
     Ablehnung.
    Zwei Frauen nickten. Die Gesichter der älteren Männer hatten sich verschlossen.
    Wilfried Otten, der das Thema aufgebracht hatte, sagte, er wisse nicht genau, wie die Dinge im Augenblick stünden.
    »Sind Sie befreundet mit Kerstin Karbes Eltern?«
    »Wir kennen uns schon sehr lange. Warum fragen Sie das?«
    »Weiß ich eigentlich auch nicht. Entschuldigen Sie bitte.«
    Am liebsten würde ich jetzt aufstehen und rausgehen, dachte er.
    Stattdessen öffnete er die vor ihm liegende Mappe, um auf das erste Blatt mit den Programmpunkten für den Abend zu blicken,
     die ihm alle überholt erschienen. Aber sie waren das Einzige, was er im Augenblick in der Hand hatte.
    »Ich denke, wir fangen an«, sagte er. »Wir haben eine neue Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle

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