Der Himmel so fern
bist frei.« Die Worte meines Vaters holten mich wieder in den Raum zurück, in dem ich mich befand.
»Das heißt, du gibst mich lieber fort.«
»Ich kann nichts fortgeben, das mir nicht gehört. Du willst das eine, ich das andere. Es gibt kein Problem.«
»Und was passiert, wenn ich auf deine Forderungen eingehe?«
»Ich stelle keine Forderungen. Ich sage nur, was ich will.«
»Hast du noch nie etwas von Kompromissen gehört?«
»Ein halbes Kind …?«
Die Frau verstummte. Sie hatte Tränen in den Augen und zog die Decke hoch, so dass ihre Brüste bedeckt waren und sie nicht mehr so wehrlos aussah. Ulf starrte leer vor sich hin.
»Als Vater funktioniere ich nicht«, erklärte er mit einem ebenso tiefen Seufzer, wie ich ihn mir von Birger gewünscht hätte. »Abgesehen davon, dass ich viel zu alt bin, liegt es mir auch nicht. Ich habe es versucht, das weißt du.«
»Du warst zweiundzwanzig, wer ist in diesem Alter schon ein guter Vater?!«
»Und jetzt bin ich fast sechzig. Willst du sagen, ich bin in die Rolle hineingewachsen?«
Die Frau schien etwas erwidern zu wollen, doch sie brachte nichts über die Lippen. Stattdessen sank sie in sich zusammen, die Decke krampfhaft um ihren Körper gezogen.
»Verstehst du denn nicht.« Ulf reckte sich und drehte sich zu ihr um. »Ich habe in meinem Leben schon bei zwei unschuldigen Wesen versagt. Das reicht vollkommen. Keine Experimente mehr. Ich habe als Vater genügend Mist gebaut.«
»Deine Kinder sind jetzt erwachsen, du bist reifer geworden. Dieses Mal wäre es doch ganz anders.«
»Sie sind vielleicht erwachsen, aber sie sind immer noch meine Kinder, und ich bin ihnen noch immer ein lausiger Vater.« Er lehnte sich wieder zurück in die Kissen, aber sein Körper sah alles andere als entspannt aus.
»Dann bessere dich doch. Sie werden es verstehen, wenn du ihnen erklärst, wie es damals war, dass du so jung warst. Dass du deine Kunst hattest. Es ist nicht zu spät, die Beziehungen zu retten.«
»Doch, Vanja, das ist es.«
»Das ist doch nur feiges Geschwätz. Ruf’ sie an!«
»Du verstehst das nicht. Es ist zu spät. Im Ernst.«
»Solange man am Leben ist, gibt es Hoffnung.«
»Genau. Und wenn das Leben vorüber ist, gibt es auch keine Hoffnung mehr.«
»Du sprichst, als seien sie tot.«
»Und ich habe auch einen Grund dafür. Zumindest, was eine von beiden angeht.«
»Wie meinst du das?«
»Rebecka ist tot.« Er hielt kurz inne, sprach dann mit zusammengepressten Lippen weiter. »Es ist vor ein paar Monaten passiert. Sie hat sich das Leben genommen. Ich habe die Nachricht von einem fremden Menschen aus einem Bestattungsinstitut erhalten. Sie führte ein ganz normales Leben, war verheiratet, arbeitete … Und eines Tages hat sie sich einfach umgebracht.«
Wieder wurde es still im Schlafzimmer. Ich hatte ihrem Streitgespräch so konzentriert zugehört, dass mir langsam mulmig wurde. Die Frau, Vanja, hielt bestürzt die Hände vor den Mund und atmete tief aus. Dann sah sie ihn an.
»Warum hast du nichts davon erzählt?«
»Es betraf dich ja nicht.«
»Danke.«
»Ach komm, jetzt sei bitte nicht beleidigt! Verstehst du denn nicht, diese Nachricht hat mich sehr getroffen. Im Übrigen habe ich mit keiner Menschenseele darüber gesprochen, wenn dich das tröstet.« Er klang verärgert.
Vanja schob eine Haarsträhne, die ihr über die Schulter gefallen war, wieder zurück hinters Ohr.
»Okay, sie hat sich das Leben genommen. Ich verstehe, dass das schrecklich ist, aber ihr habt euch viele Jahre nicht gesehen. Sie lebte ihr eigenes Leben, genau wie du sagst. Es können ja Dinge passiert sein, Probleme zu Hause, bei der Arbeit … Alles Mögliche kann vorgefallen sein. Mir ist nicht klar, welche Rolle du dabei spielst.«
»Ich spiele keine Rolle, das ist ja gerade der Punkt. Ich habe nie eine Rolle gespielt. Ich war nicht einmal auf ihrer Beerdigung. Verstehst du denn nicht? Ich bin gegangen, als sie klein waren, habe mich einfach aus dem Staub gemacht, weil ich es nicht hingekriegt habe, Vater zu sein. Ich ging in dieser Wohnung mit Marianne und den Kindern schier zugrunde. Ich wollte frei sein, malen, mit anderen zusammen sein. So ein Vater bin ich. Ein verdammter Scheißvater!«
»Aber Ulf, du kannst dir nicht die gesamte Verantwortung aufladen. Viele werden von ihren Eltern verlassen, deswegen bringen sich doch nicht alle um. Du weißt doch gar nicht, was für ein Leben sie geführt hat, stimmt’s?«
»Nein, aber ich weiß, dass ich der
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